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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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verfasst man eine Raubersgschicht, wird man wahrgenommen. Diese Deutschen!«
    »Also Räubergeschichte würde ich Ihren Text nun nicht nennen«, sagte Maier-Loschewitz. »Und das Lyrische kommt auch jetzt nicht zu kurz und ist sogar etwas Besonderes im Text. Macht Ton.«
    »Wieder ein Honigkuchen. Aber danke.«
    »Wenn es in diesem Tempo weitergeht«, begann Loschewitz nach einer Pause, in der beide den Auftritt des Verlegers nachhallen ließen, »könnten wir das Ende ins Auge –«
    »Nix«, lachte Hirschfeld. »Hoffen Sie lieber, dass ich nicht auf das hinauf die Schreibblockade kriege.«
    »Oh«, machte der Lektor.
    Hirschfeld verabschiedete sich und ging leichten Schrittes zur Binnenalster, betrat den Alsterpavillon und trank einen
Piccolo. Auf dem Heimweg danach schien ihm die Maisonne auf den Nacken, und er begann zu schwitzen. Es fiel ihm ein möglicher Titel seines Romans ein: Gefrorene Nähe.
    Daheim angekommen, rief er Karin an. Bevor er ihr über sein Tagwerk etwas vorgackern konnte, sagte sie: »Ich komme morgen.« Er hörte eine Stimme im Hintergrund. »Und Fredi sagt mir soeben, er wünscht dir das Beste und solidarische Kampfesgrüße.«
    »Du kommst bereits morgen?«
    »Ertappe ich dich bei etwas?«
    »Wo, glaubst du, habe ich jetzt meine Hand?«
    Karin lachte.
    36.
    (Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
27. 5. 1988
    Ich muss mir jetzt über einiges klar werden. Deswegen nehme ich mein blödes altes Tagebuch wieder her. Mich ziehts zur Singerei, obwohl ich eigentlich dagegen bin. Wie Papa? Immer vor Kulissen stehen und röhren? Andrerseits will ich zur Oper, kein Pop, kein Folk, kein Soul. Später vielleicht Crossover. Mutter wollte unbedingt, dass ich mich entscheide. Damit sie eine Ruhe gibt, hab ich erstmal Philosophie inskribiert.
    Im Singverein ists okay. Wir haben schon einige Mal das Deutsche Requiem aufgeführt, im Musikverein, in Graz, in Innsbruck.
    Aber ich will auf Dauer nicht im Chor bleiben. Man hört mich heraus, auch wenn ich mich zurückhalte. Ich bin ein Solist. Guido und meine Mutter haben mir zugeredet, dass ich beim Direktor Nürnberger vorsinge. Guido sagt, wenn
du beim Nürnberger reüssierst, ists gebongt. Es gebe weltweit kaum einen, der mehr von Stimmen verstünde als der. Und es würde mir bei ihm nichts nützen, dass ich der Sohn vom großen Keyntz bin. Ist mir eh lieber. Ich werde selber wer als Sänger, oder ich lass es.
    Seit Wochen übe ich. Nachher kommen Helen und Mutter und hören sich was an. Helen kennt es schon, weil ich es eh mit ihr einstudiert hab, aber jetzt soll sie als Unbeteiligte daherkommen und so tun, als hörte sie alles zum ersten Mal. Guido tanzt auch an.
     
    28. 5. 1988
    Ich habe vor lauter Singvorbereitung gar nicht aufnotiert, worüber ich mir noch im Klaren sein möchte: Meine Allürendolly. Sie nervt mich so mit ihrem Hin und Her. Momentan will sie in Israel bleiben und meint, singen kann ich überall und ich sollte nach Tel Aviv kommen. Sie wohnt jetzt mit ihrer Freundin Tammi zusammen in einer Wohnung. Was soll ich dort? Manchmal kommt sie mir vor, als wollte sie Israel neu aufbauen. Als sie Weihnachten da war, haben wir vor allem gestritten. Was soll ich als Goi in Israel? Dolly ist ziemlich rücksichtslos. Dass man in Wien besser Gesang studiert als in ihrem geschissenen Jerusalem, weiß sie auch, aber es nützt nichts. Ich glaub, sie liebt mich nicht mehr, und ich bin einfach nur geil auf sie. Helen ist nicht so sexy, aber wir verstehen uns. Sie ist draufgekommen, dass ich das absolute Gehör hab. Kein Chorleiter, nicht der Guido, nicht Mutter, die immer so kompetent tut. Helen hatte im Spaß ein Cis angeschlagen, ich hab ihr gesagt, es gehört ein D, kein Cis. »Woher weißt du, dass ich ein Cis angeschlagen hab?« Sie wurde ganz kribblig, schlug verschiedenste Töne an und schrie: »Du hast es, Stefan, du hast es.«
    Was mache ich jetzt?
    Ich habe ihr und Mutter gestern also die Don-Giovanni-Introduktion vorgesungen, Helen am Pianino. Aus der Winterreise »Das Wirtshaus« und »Gefror'ne Tränen«. Schließlich das »Flohlied«, weil da kann ich darstellerisch ein bissl was machen. Obwohl ich im Singverein Tenor singe, fühl ich mich komischerweise sicherer mit hohem Bariton. Ich weiß nicht.
    Allen hats getaugt, na ja, was sollen sie sagen, zwei Tage vor dem Vorsingen. Vielleicht laufe ich ins Messer?
    Dann werde ich halt Hegelianer. So ein Blödsinn. Ich werde nie ein Hegelianer, ich werde ein Opernsänger. Dolores, da wirst du

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