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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Beschimpfung Österreichs, dass sogar ich, der ich, wie Sie sicher wissen, genug an meinem Land auszusetzen habe, empört bin über diese besudelnden Pauschalisierungen.«
    »Das ist doch sein Trick! Immer gewesen. Was wollen Sie dafür?«
    »Ich will gar nichts. Ich liefere Ihnen einige Ausschnitte aus dem Werk, Sie können es im Ausblick platzieren. Dann muss der Herr Direktor Farbe bekennen.«
    »Kommt nicht in Frage, Herr Kammerschauspieler. Ich muss schon das ganze Stück haben.«
    »Das kann ich nicht tun.«
    »Tut mir leid. Ich bin nicht vom Boulevard. Geben Sie es dem Kampl.«
    »Dem Moldaschl möchte ich das Zeug ums Verrecken nicht geben. Der ist mir der falsche Bundesgenosse.«
    »Na dann«, sagte Felsberg nach kurzem Zögern. »Ich wäre schon interessiert. Aber ganz oder gar nicht.«
    Vesely presste den Hörer ans Ohr. Er dachte angestrengt nach, wusste, dass er flink sein musste mit einer Entscheidung. Sein Schädel begann zu schmerzen, als wäre in seinem Kopf ein Hämmerchen, das abwechselnd auf eine Ja- und dann auf eine Neintaste schlug.
    »Ich muss es mir noch überlegen«, sagte er.
    »Wo wohnen Sie?« Vesely nannte seine Adresse.
    »Gehts gleich?«
    »Kommen Sie.«
     
    Gustav Felsberg war am nächsten Morgen sehr früh ins Auto gestiegen und zu seinem Haus nach Breitenstein am Semmering gefahren. Er müsse noch dringend etwas erledigen, sagte er seiner Frau, küsste seine beiden Töchter zum Abschied. In Rodaun holte er seine Geliebte ab, gemeinsam verließen sie Wien. Nach der Ankunft wollte die Frau sogleich in den Ort fahren, um Lebensmittel zu besorgen, aber Felsberg drängte sie ins Badezimmer, zog sie aus, stellte sie und sich unter die Dusche, warf sich und sie aufs Bett. Später legte er sich in die Badewanne, das Manuskript auf den Hocker daneben, dazu einen Aschenbecher, Zigaretten. Er rief nach seiner Geliebten, ersuchte sie, ihm das Feuerzeug zu bringen, sie verlangte den Autoschlüssel und fuhr einkaufen.
    »Tsen Brider senen mir gewesn«, sang er, und blätterte die angestrichenen Stellen in Muthesius' Stück durch. Er nahm die Angelegenheit humoristisch, freute sich schon, dem widerlichen Unteracher einen vor den Latz zu knallen. Er genoss die Vorstellung, dem Burgtheaterzerstörer Schönn die Kleinbürgermeute an den Hals zu hetzen. Es störte ihn auch nicht, dass er in eine Kumpanei mit Rechten und An
tisemiten geriet, er mochte sie durchaus als nützliche Idioten sehen. Was ihm an dem Stück allerdings aufstieß, war die von Hinterhältigkeit durchsetzte Feigheit des großen Dichters. Wenn dieser Ministrant sich über die Österreicher ausscheißen will, soll ers tun, mir sehr recht. Felsberg stieg aus der Wanne und zog sich an. Er trat vor das Haus, holte sich noch einen Anorak und ging einige Schritte mit Blick auf den Hirschenkogel. Aber er soll die Österreicher durch ein österreichisches Arschloch anscheißen, nicht durch ein jüdisches. So werde ich es wohl nicht schreiben können, dachte er und lächelte sich selbst an. Feigesius lässt einen exilierten Juden durch den Mund seiner Tochter bellen wie ein deutscher Schäferhund. Er zog sein Notizbüchlein aus der Gesäßtasche, hatte aber keinen Stift mit. Merken, Gustav, sagte er sich. Muthesius schiebt Juden vor, um seine Österreichkritik anzubringen. Er ist ein Antisemit. Einem Antisemiten darf man das Burgtheater nicht als Bühne geben. Nichts darf man den Antisemiten als Bühne geben. Besetzt das Burgtheater oder so ähnlich, dachte Felsberg, werde ich meinen Artikel nennen. Der Teddy wird mich den Artikel schreiben lassen müssen. Der Ausblick gilt eh als Judenblatt. Die Juden müssen gegen dieses Stück sein. Es beleidigt gornicht, spann Felsberg den Faden weiter, die Frostschädelstätte Österreich, es insinuiert das Judentum. Ihr werdet mich kennenlernen!
    Beim späten Mittagessen erzählte er seiner Geliebten, was er sich durch den Kopf hatte gehen lassen.
    »Du müsstest den Artikel in der Stunde veröffentlichen, nicht im Ausblick«, sagte sie und schenkte ihm und sich einen Welschriesling ein.
    »Schatzi, wo du recht hast, hast du – unrecht«, antwortete er. »Du hast mich auf eine Idee gebracht. Jetzt, da ich sie durchdenke, ists eine glänzende Idee.«
    Nachmittags machten sie einen Spaziergang zum Semmeringpass, abends fuhren sie nach Wien zurück.
    Bevor Felsberg heimging, setzte er sich im Oswald & Kalb an den Stammtisch.
    Ich müsste dem Moldaschl einige Zitate aus dem Stück zuspielen, überlegte

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