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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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er. Tobias Malach kam herein, ließ sich neben Felsberg nieder. Sie plauderten. Georg Gelernter erschien, setzte sich ungefragt dazu und begann ohne Punkt und Komma auf die beiden einzureden. Sein Dauerthema, die Antisemitenriecherei, hatte durch die Waisaffäre an Intensität derart zugenommen, dass Felsberg, indes er mit halbem Ohr dem Sermon lauschte, bei Gelernter eine ausbrechende Paranoia vermutete. Malach gelang es hie und da, Gelernter zu unterbrechen, um beschwichtigend auf ihn einzuwirken. Plötzlich stand Gelernter auf, sah Malach scharf an:
    »Bist auch ein Antisemit geworden, Tobias?« Malach nahm das Weinglas und schüttete den Inhalt in Gelernters Gesicht. Felsberg sprang auf.
    »Na, na«, sagte er, »beruhigt euch.«
    Gelernter spuckte auf den Stammtisch, ging zur Bar vor und forderte vom Kellner Bane sofortiges Lokalverbot für Malach.
    »Das muss ich mir nicht sagen lassen«, sagte Malach und blickte mit großen Augen auf Felsberg. Die Zeit ist reif, dachte Gustav. Wenn bereits der langweilige Tobias ausrastet … Felsberg klopfte Malach auf die Schulter. »Schon gut. Der Schorschi ist eben ein Rischesmacher. Kismet. Also servus, ich muss weiter.« Er legte einen Fünfziger hin. »Zahl für mich.«
    Malach schaute ihm nach. »Rischesmacher? Was soll das sein?«, murmelte er.
    Auf dem Heimweg fiel Felsberg ein, wie er dem Moldaschl
die Zitate zukommen lassen konnte, ohne sich dabei zu kompromittieren.
     
    Rosingers Schwester Agnes war in Hochstimmung. Soeben hatte ihr Jupp Toplitzer am Telefon das Angebot gemacht, als Bezirksrätin für die Freiheitlichen zu kandidieren. Sie wäre an zweiter Stelle gereiht, ein sicherer Listenplatz. Heute erwartete sie ihre Freundin, die für einige Tage aus Klagenfurt angereist war, zum Essen. Diese Freundin hatte vor zwanzig Jahren nach Kärnten geheiratet, fühlte sich dort nicht so wohl, obgleich sie die neuere Entwicklung der Partei mit Jupp sehr begrüßte. Sie nutzte jede Gelegenheit, in ihr geliebtes Wien zu kommen und Agnes zu treffen. Agnes saß in der Küche und schnitt Gemüse, summte ein Lied, dachte an ihren Bruder, welcher heute, wie jeden Monat einmal, zu Hedis Grab pilgerte, sich dort bemitleidete und vermutlich, bevor er in seine Wohnung hinüberging, noch bei ihr vorbeischauen würde.
    Als es läutete, waren sie beim Nachtmahlen. Der Ehemann der Freundin, ein Kärntner Abwehrkämpfer und Schriftführer der SS -Kameradschaft IV , sprach gerade darüber, dass gegen ihn und seinesgleichen in jüngster Zeit von den Linken verstärkt gehetzt wurde. Dazu füllte er sich mit steirischem Schilcher ab, den Agnes beiden zum Essen kredenzt hatte. Wilhelm Rosinger betrat die Wohnung. Er kannte den Abwehrkämpfer, grüßte ihn höflich. Agnes bat ihren Bruder kühl, auf ein Achterl zu bleiben, doch Rosinger hatte keine Lust. Der Abwehrkämpfer erhob sich.
    »Na also, Wilhelm. Jetzt, wo die Agnes den ehrenvollen Auftrag von Jupp erhalten hat, musst schon anstoßen mit uns.« Rosinger sah sie fragend an, sie nickte und hob ihr Kinn.
    »Von mir aus«, murmelte Rosinger, holte aus der Küche ein Weinglas, ließ sich einschenken.
    »Auf dich«, sagte er zu Agnes. Er trank und wendete sich zum Gehen. Es läutete wiederum. Agnes ging an Wilhelm vorbei und öffnete die Eingangstür.
    »Sie sind Frau Auer?«, fragte der Mann, der draußen stand. Hinter dem Rücken von Agnes erschien Rosinger und erblickte den unangemeldeten Besucher.
    »Grüß Gott«, entfuhr es ihm, denn der Mann kam ihm bekannt vor.
    »Guten Abend. Entschuldigen Sie die Störung. Ich hätte bloß ein Kuvert für Sie abzugeben.« Er reichte Agnes ein braunes Kuvert. »Empfehle mich.« Er nickte dem Geschwisterpaar zu und ging. Agnes schüttelte den Kopf, betrachtete den Umschlag, auf dem nichts stand, war unschlüssig. Wilhelm nahm ihn ihr aus der Hand, und sie gingen zurück ins Wohnzimmer. Er öffnete das Kuvert, besah sich zwei kopierte Blätter, suchte im Umschlag, holte einen Brief heraus.
    »Entschuldigts«, sagte er zum Abwehrkämpfer und dessen Gattin, deutete seiner Schwester mit dem Kopf zur Küche, ging schon vor und setzte sich auf die Küchenbank. Agnes hockte sich neben ihn, und sie lasen gemeinsam den Brief durch.
    Sehr geehrte Frau Auer, man sendet Ihnen einige Stellen aus dem Sudelstück VOM BALKON des Nestbeschmutzers Muthesius, das am 10. Oktober im Burgtheater uraufgeführt werden wird. Dieser Text ist streng geheim. Direktor Schönn und Konsorten halten ihn unter Verschluss. Man

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