Der Kalte
allen Teilen der Stadt waren sie gekommen, die von Tschonkovits ausgesuchten Künstler, Schriftsteller, Kulturjournalisten und der Pressesprecher des Bundeskanzlers. Sie drängten sich alle an Tschonkovits vorbei ins Lokal und verzwirbelten sich drin rund um die Tische, Schulter an Schulter sich und dem Nachbarn die Mäntel und Jacken abschälend. Einige mussten stehen oder setzten sich auf die Plüschlehnen. Draußen hielt Johannes ein Kamerateam des Österreichischen Fernsehens davon ab einzudringen, ein zweites, welches anscheinend ohne Wissen des ersten eben eintraf, bestürmte den Türhüter, sofort eingelassen zu werden. »Nix da« und »später«, »später« und »nix da«, rief Tschonkovits mit ausgebreiteten Armen, indes gleichsam unter seinen Achseln noch manche der Eingeladenen ins Lokal schlüpften. Das Ehepaar Hawelka drapierte in gewohnter Manier die Gäste, wies den einen dahin, den andern woanders, das Kaffeehaus summte und brummte aus allen Lagen. Ein Malerfürst, mit Fez angetan, der ungeachtet seiner jüdischen Herkunft sich auf christliche Heiligen
figuren kapriziert hatte und diese in den Gestalten seines Familienkreises malte und heiligte, saß an seinem einst angestammten Platz, denn seit Jahren hatten die Maler, die in den späten Fünfzigerjahren als nahezu mittellose Existenzen das Hawelka bewohnten, es nicht mehr besucht. Neben ihm saß ein schmächtiger Mann, der als Maler in Wien so bekannt war wie als Liedermacher, denn er sang wienerische und jüdische Lieder mit glockenheller Stimme, Erstere selbst getextet und komponiert. Unter der Uhr versammelten sich die kunstsinnigen Aristokraten und sprachen leise und wie es sich gehörte durch die Nase, wirkten leicht indigniert und harrten mit der ihrer Herkunft eigenen Geduld, was da auf sie zukommen möge. Schriftsteller vereinigten sich schräg gegenüber vom Eingang am Ecktisch, es waren nicht viele und auch nicht junge und neue, dafür wirkten sie allesamt etwas betäubt und riefen den Ober unentwegt, um weitere Betäubungsmittel zu ordern. Hinten saßen einträchtig die Schauspieler. Das Zentrum dieser Gruppe bildete nicht Schönn, sondern Felix Dauendin und Astrid von Gehlen. Astrid sah fabelhaft aus, ihre Haare glänzten, ihre Augen schimmerten, die Bewegungen zugleich anmutig und ausgreifend, so hielt sie Hof, sah belustigt den Männern auf die Scheitel, als die der Reihe nach ankamen, um ihr die Hand zu küssen. Felix Dauendin saß vergnügt daneben und grinste in die Runde, eine Bühne …
Nach einiger Zeit erschien Johannes Tschonkovits im Lokal. Er stellte sich vor die Telefonkabine und begann mit einer launigen Begrüßungsansprache, die vom Publikum mit Distanz und Kühle angehört wurde. Vor dem letzten Halbsatz gab er dem Pressesprecher einen kleinen Wink, worauf dieser aus dem Lokal eilte. Kaum war die Rede fertig, erschien in den müden Applaus hinein der Bundes
kanzler so unauffällig, wie es ihm möglich war. Der gedrungene, mittelgroße Mann mit dem ständig vor Staunen breiten Gesicht duckte sich unter den auf ihn gerichteten Blicken durch, winkte mit beiden Händen ab, als wollte er sagen: Tut so, als wäre ich gar nicht da.
Nun durfte auf seine Kosten Essen bestellt werden. Tschonkovits winkte ein Fernsehteam herein, welches die Aufgabe hatte, den Prominenten bis in den Schlund zu filmen und zwischen zwei Schlucken vom Champagner Fragen der einfachen Machart anzubringen. Inzwischen ging der Bundeskanzler von Tisch zu Tisch, gab den Leuten die Hand und versuchte zu konversieren. Er war kein wirklich versierter Plauderant. Tschonkovits verlor ihn deswegen nicht aus dem Auge, orderte unauffällig ein Viertel Weißwein für den Schüchternen und hernach noch eines. Beide Gläser trank der Bundeskanzler in angemessener Eile. So ging es mit ihm von Tisch zu Tisch. Als er schließlich bei den Schauspielern angekommen war, an deren Tisch auch Apolloner und Judith Zischka saßen, war er schon etwas müde vom Parlieren. So war er da und schwieg nun. Astrid von Gehlen betrachtete ihn amüsiert, er sah ihren Blick, erhob sich, verbeugte sich und setzte sich wieder.
Nach einer Pause fragte Apolloner: »Herr Bundeskanzler, wie läufts?« Der Bundeskanzler heftete seinen Blick auf ihn, seufzte, beugte sich vor und sagte leise, aber schon so, dass es der ganze Tisch hörte und hernach das Lokal.
»Wissen Sie: Regieren ist schön. Regieren ist schön. Regieren ist so schön. Ich habe nicht gewusst, dass Regieren so schön ist.«
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