Der Kalte
Interview, er sei mit wichtigeren Dingen beschäftigt; was nun statt der Macbethpremiere und ob überhaupt etwas stattfinden würde, denn Dauendin war auch in zwei anderen Stücken drin, die nun
umbesetzt werden müssten, aber mit wem? Nun konnte Judith Zischka bloß eine Wie-wäre-es-wenn-Reportage, lediglich einen Wenn-und-aber-Artikel verfassen, einen Munkelbericht schreiben, ein Als-ob-Interview sich ausdenken.
Von einer Verstimmung zwischen Roman und Judith war nicht die Rede, sie prosteten einander zu, als das Telefon läutete. Roman hob ab und formte im Umdrehen mit dem Mund lautlos »Tschonkovits« zu Judith hin. Sie nickte verdrießlich, aß ihre Nudeln auf, trank den Wein aus, ging ungefragt in Romans Küche, holte den Nescafé, goss heißes Wasser darüber und stellte sich zum Fenster, um abwechselnd dem Telefongespräch zuzuhören und den eigenen Gedanken nachzuhängen. Gegen Schluss des Telefonats schien sich herauszukristallisieren, dass Apolloner weg musste. Als er ihr verschlossenes Gesicht sah, nahm er sie in die Arme.
»Komm einfach mit, wenn du magst.«
»Ach, wohin denn?«
»Bundeskanzleramt. Der Tschonki hat ein Bombi.«
»Die Dankbaren sterben nicht aus«, sagte Zischka und küsste ihn. »Freilich komm ich mit.«
»Dankbar wofür«, fragte er, als sie ins Taxi stiegen.
»Dass du hinkünftig für ihn arbeiten darfst.« Apolloner grinste.
Nach zwei Stunden kamen sie zurück. Sie hielten sich nicht auf, gingen miteinander ins Bett, doch noch während sie ihren jeweiligen Höhepunkten entgegenatmeten, formten sich in Apolloners Kopf bereits die ersten Sätze jenes Artikels, der für ein gewisses Aufsehen im Land sorgen sollte. Judith begann mit ihrem imaginären Interview kurz vorm Einschlafen in Romans Armen, doch der rollte sie an die Wand, stieg aus dem Bett, setzte sich draußen an den Kü
chentisch und begann auf seiner Reiseschreibmaschine zu klappern.
35.
Den Montag darauf erschienen sowohl Apolloners Artikel als auch ein Bericht von Judith Zischka über den Unfall von Felix Dauendin und die Neuplanungen, die dadurch notwendig geworden waren. Wie in Wien üblich, erregte die Konfusion im Burgtheater die Wiener mehr als die Mutmaßungen, warum denn der Ex- UNO -Generalsekretär und Präsidentschaftskandidat Johann Wais einen Teil seiner Wehrmachtszeit in seiner Autobiographie verschwiegen hatte. Die Bombe, von der sich Tschonkovits so viel erhofft hatte, war ein Bömbchen, welches bloß in bestimmten Kreisen Aufmerksamkeit fand. Der Parteichef der Konservativen lief vor Zorn rot an, er beorderte einen Mitarbeiter von Wais, den Pressesprecher Novacek, zu sich. Dieser bestätigte dem Parteichef, dass Wais zweieinhalb Jahre auf dem Balkan Dienst getan hatte. Warum dies in seinem Buch nicht aufschien, erklärte er mit dem exzellenten Verhältnis, das Wais als UNO -General zu Marschall Tito aufgebaut hatte, sodass er und auch der außenpolitische Berater Jungnickel abgeraten hätten, dieses Detail zu erwähnen.
»Detail«, rief der Parteichef, »das sind zweieinhalb Jahre, die mir nichts, dir nichts einfach weggezaubert worden sind. Was hat er denn getan in der Zeit?«
»So genau weiß ich das auch nicht«, antwortete Novacek nach einer Weile. »Es wird schon nichts Besonderes gewesen sein.«
»Vorhin hat mich Lebensart angerufen. Er steht der Kan
didatur sehr freundlich gegenüber, wie soll ich sagen, wenigstens bis dato. Glaubst du nicht, dass jetzt eine Schnüffelei losgeht?«
»Ich denke nicht«, sagte Novacek mit leiser Stimme. »Ich werde heute noch mit Johann sprechen, ich lege dir dann die Presseerklärung vor.«
»Was, du weißt auch nicht, was er getrieben hat am Balkan?«
»Nicht so genau. Beruhige dich. Er war 1c.«
Keiner der beiden hatte eine Ahnung, was 1c war. Novacek verließ den Parteichef. Auf dem Weg in sein Büro überfielen ihn kolikartige Magenschmerzen. Er musste stehen bleiben und sich im leichten Schneetreiben an einen Briefkasten anlehnen. Im Büro angekommen, stand Wais bereits an der Kante seines Schreibtisches, groß, hager und bleich im Gesicht.
In den nächsten Tagen tat sich gar nichts. Einige Zeitungen hatten sich kurz mit der Lücke in der Waisbiographie befasst, doch ansonsten verbrachte man die Zeit mit Weihnachtsvorbereitungen.
Edmund Fraul rief bei Lebensart an. »Glaubst du, dass da was dran ist?«
»Gar nichts ist dran«, sagte Lebensart. »Das wäre mir schon aufgefallen. Ich schlafe bekanntlich seit Kriegsende nicht. Das ist ein
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