Der Kalte
Bruder sich gegen mich benommen haben. Sie war grad unter der Erde, schon haben die begonnen, mich aus der Simmeringer Wohnung zu ekeln. Es war mir schließlich ganz recht, als ich weggezogen bin und in die Geologengasse, denn ohne Hedi ist es nicht auszuhalten gewesen dorten, und mit der Apotheke hab ich auch nichts zu schaffen haben wollen. Es war gut, dass ich auf alles, was mir zugestanden wäre, verzichtet hab. So habe ich die Hedi für mich behalten. Ihre Verwandtschaft hat mir Angst gemacht, denn sie hat nur Verachtung und
Spott für mich übrig gehabt. Wenn ihre Leute von meiner Vergangenheit gewusst hätten, dann hätten sie mehr Respekt gehabt. Als ich dann meinen Prozess hatte, waren sie heimlich sehr beeindruckt, denn nie hätten sie mir das zugetraut, was ich getan habe. Dann haben sie mich wieder für einen Schlappschwanz gehalten, weil ich die Schuld zugegeben hatte. Sie waren ordentliche Nazis gewesen, der Bruder ein Mediziner und die Eltern beide in der Partei. Nachher war denen ihr Name natürlich Hase. Ach was. Ich selbst war auch bis zum Prozess Herr Hase und mit weniger Grund als andere, die vielleicht nicht so viel angerichtet haben. Dass schließlich und endlich meine Schwester mir gegenüber in die Mietswohnung eingezogen ist mit ihrem Willibald, hat mich anfangs gefreut. Ich hab ihm die Arbeit bei der Horch- und Guckgesellschaft verschafft. Aber der Willibald ist ein Pechvogel gewesen, dachte Rosinger. Nicht nur, dass er die Agnes als Frau bekommen hat, was man nicht grad ein Glück nennen hat können, weil sie ist ja ein ziemlicher Schragen, er ist dann auch noch von einem Einbrecher erschlagen worden, nachdem er den Kerl in flagranti erwischt hat. Das hat die Agnes achselzuckend weggesteckt, sie ist allerdings noch grauslicher geworden. Jetzt schwärmt sie für den Jupp Toplitzer, diesen Jungspund der Freiheitlichen, und vom Adolf redet sie in einer Tour freundlich und gnädig. Einmal Be-de-em, immer Be-de-em. So schau ich zwar von meinem Platz am Fenster öfters zu ihr rüber, bin aber froh, wenn ich meine Ruh hab. Umso mehr bleibt mir die Hedi. Die Hedi ist dir unverloren, hat schon der Willibald damals gesagt, weil ich mich gar nimmer für eine andere Frau interessiert hab.
»Wie gehts ihr jetzt«, fragte Rosinger nach einer Weile und hörte dabei seine verzagte Stimme.
»Eh ganz gut.« Fraul schaute auf seine Uhr.
»Meine Frau ist vor fast vierzig Jahren an einem Gehirntumor gestorben.«
»Zu spät, um Ihnen Beileid zu wünschen.«
Rosinger spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Für Beileid ists nie zu spät, dachte er.
»Wusste Ihre Frau von den mit der Spritze getöteten Kindern, Rosinger?«, fragte Fraul schroff.
»Wo wir doch selber welche wollten«, antwortete Rosinger und schüttelte den Kopf. »Weshalb halten Sie mir das jetzt wieder vor?« Fraul schaute ihm fest in die Augen.
»Das vergeht doch nicht.«
»Nein, das vergeht nicht. Aber auch Hedi ist nicht vergangen. Das bleibt mir.« Und dem Wilhelm wurde es eng, nachdem er so geantwortet hatte. Er atmete tief ein.
»Die Toten bleiben einem vielleicht. Die Ermordeten immer«, sagte Fraul und erhob sich. Er zögerte, dann gab er Rosinger die Hand, lächelte einen Moment und ging vor zur Theke, um zu zahlen.
»Ich nehm Ihres mit«, rief er über die Schulter.
»Vielen Dank«, rief Rosinger zurück. »Baldige Genesung Ihrer Gattin.«
Fraul hob beim Hinausgehen, ohne zurückzuschauen, kurz den Arm und ging. Wilhelm blieb noch sitzen. Das war doch nett von ihm, dachte er, trank ein zweites Bier, saß noch ein Weilchen im Praterer, in sich gekehrt.
37.
Ich mied das Zimmer fünf im dreizehnten Stock, in dem Rosa Fraul lag, denn sie wurde, wie ich mitbekam, von Karel jeden zweiten Tag besucht. Ich war mit Inge Haller bei den Visiten mit dabei an ihrem Bett und wunderte mich
hiebei über ihr entspanntes und lächelndes Gesicht, ihre halbgeschlossenen Augen, durch die sie, wie ich bemerkte, alles um sich herum deutlich wahrnahm.
Gestern platzte Karl in die Visite hinein, verließ zwar gleich das Zimmer, um draußen abzuwarten, aber mir wurden sofort die Beine schwer, und meine Hände begannen zu zittern. Inge bemerkte es, trat zu mir.
»Du musst gar nicht dabei sein, Margit«, flüsterte sie mir zu, ohne zu bedenken, dass ich dem Karl in die Arme rennen würde, wenn ich während der Visite das Zimmer verließ. Ich schüttelte den Kopf und versuchte mich zu konzentrieren. Inge las das Krankenblatt von Rosa Fraul
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