Der Kalte
sagte Novacek und hob seine Hand, »auf den Satz von der Pflichterfüllung stürzt sich die Linke, aber das braucht uns nicht zu stören, im Gegenteil: Es ergibt sich das eine aus dem andern. Es ist uns auch nichts anderes übergeblieben, als unsere Pflicht zu erfüllen. Das soll mitschwingen, nur mitschwingen, nicht dezidiert ausgesprochen werden, weil das klänge, als hätte man nicht gern seine Pflicht erfüllt. Man hat zwar einerseits nicht gern seine Pflicht erfüllt, weil man innerlich eigentlich dagegen war und auch schon ahnte, was für eine Katastrophe auf einen zukam, aber, hör zu, die Pflicht an sich hast du schon gern erfüllt, das ist dir eingeboren, du bist jemand, der seine Pflicht eben immer erfüllt hat. Es muss eben bloß mitfühlbar sein, dass man im Grunde nicht einverstanden war, aber mehr als mitfühlen darf man es nicht, zumal viele Landsleute durchaus einverstanden waren, du verstehst.«
»Sicher, Adrian, sicher.«
Wais ging wieder hinüber zum Erkerfenster, ließ den Park aber in seinem Rücken, schaute den noch immer herumgehenden Novacek an.
»Das mit den Landsleuten, das finde ich gut. Das ist sehr zutreffend. Am besten ists, ich spreche nicht von den Österreicherinnen und Österreichern, am besten ists, ich spreche von meinen lieben Landsleuten.«
»Und nun«, sagte Novacek, nachdem er die letzten Sätze seines Präsidentschaftskandidaten benickt hatte, »zu den Fragen der Journalisten. Die meisten sind erwartbar, und ich habe sie – geh, sei so gut und setz dich her – hier aufgelistet: drei Gruppen, hellrot markiert die gefährlichen Fragen.«
Beide setzten sich nun an den Teetisch. Novacek fuhr mit den Händen zwischen den Papierstapeln herum, hob einen
heraus, legte ihn sich auf den rechten Unterarm und blätterte ihn auf.
»Blau markiert sind die üblichen Fragen, grün diejenigen, die von den Freunden, von den Wohlwollenden erwartet und auch kommen werden. Und hier in Lila, das sind die heimtückischen, denen man eben nicht gleich ansieht, dass sie einen Haken haben.«
Novacek legte den Stapel auf den Tisch.
»Zu den üblichen, den blauen: Wir müssen uns etwas Originelles zurechtlegen. Es wäre angebracht, dass du hiebei deinen Humor zeigst, und wenn du das tust, dann ergibt sich wie von selbst, dass du ein reines Gewissen hast, denn sonst wäre dieser spezielle Humor gar nicht möglich.«
Wais lachte leise auf.
»Ich glaube, mit dem Humor halte ich mich ein wenig zurück. Doch wenn du originelle Antworten vorbereitet hast, lass hören.«
Die beiden Männer begannen die Fragen aufzuarbeiten. Wais blieb ruhig und konzentriert. Auf seine Merkfähigkeit, auf sein gutes Gedächtnis konnte er sich verlassen. Als sie fertig waren, stand der Chauffeur mit dem Wagen bereits vor dem Haus. Wais ließ sich frohgemut zum Presseclub Concordia fahren, in dem um dreizehn Uhr die Pressekonferenz begann. Der Saal war überfüllt. Auch aus dem Ausland waren Fernsehteams gekommen. Johann Wais betrat das Podium, setzte sich hinter das Mikrofon, nahm einen Schluck Wasser. Er lächelte ins Publikum hinein. Niemand lächelte zurück.
15.
Edmund Fraul ging vom Café Ritter direkt zur Haltestelle Neubaugasse und wartete auf die Straßenbahn. Die Märzsonne entwickelte in der Mariahilfer Straße eine beachtliche Kraft, sodass Fraul seinen Hut allmählich als Wärmepolster spürte. Er nahm ihn ab und betrachtete dessen Inneres. Die Firmenschrift begann bereits zu verblassen. Fraul schrak auf und schaute auf einen Passanten, der, neben ihm stehend, ihm mit halb offenem Mund zusah. Fraul verzog das Gesicht, setzte den Hut auf und schaute Richtung Gürtel, ob der Achtundfünfziger nun endlich daherkomme. Als er schließlich im Wagen saß und an Gerngroß und Herzmansky vorbeifuhr, betrachtete er die Leute, die vor den beiden Kaufhäusern entlanggingen. Bei der Bellaria stieg er in einen Ringwagen um und fuhr weiter bis zur Urania. Er hatte einen Moment erwogen, bei der Salztorbrücke auszusteigen, heimzugehen, um dort seinen Hut abzulegen, ließ es aber bleiben, verließ die Tramway bei der Urania, um den Donaukanal flussabwärts zum Praterer zu marschieren. Hiebei beschleunigte er sich immer mehr, spürte, dass er am Hals zu schwitzen begann. Die Fußgänger, die ihm begegneten, drehten sich nach ihm um und sahen ihm hinterher. Einige Hunde, an denen er vorbeistürmte, begannen sogar alsogleich hinter ihm her zu kläffen, sodass es vom anderen Ufer so aussah, als würden sie ihn verbellen
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