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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Samueli, dachte Apolloner. Von der jüdischen Hochschülerschaft schwupps in die österreichische Innenpolitik. Das neue Gscheiterl der Linken. Ein Witzbold, aber todernst.
    »Find ich sehr gut. Ich geh hin.«
    »Ich komme auch«, sagte Judith. »Wir kommen privat, wir versammeln uns als Bürger. Gemeinsam werden wir unaufgeregt beraten, was zu tun ist, und dann werden wir es tun.«
    Diese Sätze begannen ihn zu freuen, obwohl sie ihn aus dem Mund von Judith verblüfften. »Du klingst verändert«, sagte er.
    »Pass auf, Liebster, alles wird sich ändern in diesem Land. So oder so.«
    »So und so, Judith.«
    »Ja, du hast recht. So und so. Hole ich dich ab?«
    »Komm ein bisschen früher.«
    Judith lachte in den Hörer und legte auf. Apolloner blieb neben dem Telefon sitzen, betrachtete die Stechpalme, die sich leicht bewegte, wenn er sie scharf ansah. Er schaute ihr so lange zu, bis Judith kam.
    14.
    Johann Wais stand vor dem Erkerfenster seiner Wohnung in der Bauernfeldgasse und schaute auf den Wertheimsteinpark, der heute Vormittag einen verhangenen Eindruck machte, obwohl die Sonne kräftig das kahle Gezweig durchschien und auch die blassen Rasenflächen lieblich beleuchtete. Im Rücken von Wais am kleinen Teetisch saß sein Pressesprecher Adrian Novacek, der aus einer alten Aktentasche Papier heraushob und dieses auf dem kleinen Tisch irgendwie anzuordnen sich anschickte. Von Zeit zu Zeit schaute Novacek auf, doch sein Blick traf jedes Mal nur den schlanken und geraden Rücken des Präsidentschaftskandidaten. Nachdem Novacek die Tasche beinahe vollständig ausgeräumt hatte, schob er sie unter den Sessel, auf dem er saß, drückte sie mit den Fersen noch weiter zurück und blieb einen Augenblick ruhig in dieser Stellung, um seinen heftigen Atem, der rasch und geräuschvoll seine Bronchien anfüllte und leerte, zu zügeln. Hiebei riss es ihm die Kinnladen auseinander, er nieste einige Mal heftig, holte das Taschentuch aus der inneren Sakkotasche, reinigte die Nase und die Papiere vor sich.
    »Helf Gott, dass' wahr is«, ließ sich Johann Wais vernehmen, ohne seine Stellung vor dem Erkerfenster zu verändern. »Hast du dich etwa verkühlt?«
    »Weiß nicht. Möglich«, antwortete Novacek. »Danke.« Er sah zu Wais hin, fuhr mit dem Blick dessen Rücken hinauf bis zum Nacken. Ob ihm Gott hilft, dachte er sich und war angerührt von dem altmodischen Spruch, der dem Wais offenbar jetzt in den Sinn gekommen war, da er sich innerlich auf die zweite und für den Wahlkampf besonders wichtige Pressekonferenz vorzubereiten hatte. »Ich hab alles bei der Hand«, sagte er.
    Johann Wais folgte mit seinen Augen einigen Saatkrähen, die sich mitten auf dem Rasen niederließen und einander zu bekrächzen begannen. An einem Erlenast hingen Meisenkugeln, welche von den flinken kleinen Vögeln bereits heftig bearbeitet worden waren. Um die Zeit brauchen die Vögel doch kein Futter mehr, dachte Wais, ließ seinen Blick danach zum schwachblauen Märzhimmel steigen.
    »Johann?«
    »Bin schon da«, sagte Wais, drehte sich um und kam vom Erkerfenster hergeschritten, aufrecht und fast etwas zu steif blieb er vor Novacek stehen. Novacek war zwar irritiert, weil er seine Vorschläge, wie Wais die Pressekonferenz anlegen sollte, im Sitzen zu Wais hinauf vorbringen musste, und er überlegte daher, sich zu erheben, doch schließlich begann er in ruhigem und schnurrendem Ton die Situation zu umreißen, in die Johann Wais geraten war. Nach einigen Sätzen unterbrach ihn Wais mit dem Hinweis, dass ihm das ja nun alles ohnehin bekannt sei, und Novacek möge zur Sache selbst kommen. Der ließ sich das nicht zweimal sagen, stand nun doch auf und erläuterte im Hin-und-her-Gehen die Strategie, die »wir« nun einzuschlagen hätten.
    »Du meinst«, sagte Wais, nachdem Novacek geendet hatte und wieder ein wenig in Atemnot geraten war, »mein Satz, ich hätte nichts anderes getan wie hunderttausend andere Österreicher auch, bliebe der zentrale Punkt, von dem aus sich eins aus dem anderen ergeben sollte?«
    Novacek nickte. Er erläuterte dem nun aufmerksam lauschenden Präsidentschaftskandidaten, dass es das Beste wäre, wenn sich die österreichischen Landsleute in ihm spiegeln könnten. »Wir alle haben doch versucht, das Beste aus der Malaise zu machen. Es war uns allen nicht gegeben, Überlegungen und gar Entscheidungen nach Maßgabe von Vernunft und Menschlichkeit anzustellen und zu treffen.
Wir hätten eben alle unsere Pflicht getan. Ich weiß«,

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