Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
um nicht zu sagen katastrophal. Ich hatte zwar dem Adel schon zugeraunt, dass Karl psychisch in miserabler Verfassung ist und dass man ihn deshalb bei seiner schauspielerischen Ehre packen und aufrichten müsse.
    »Ich hasse diese Psychologisierereien, Astrid«, antwortete mir Adel und verzog das Gesicht.
    »Heul nicht gleich los«, sagte ich lachend.
     
    Den ersten größeren Monolog rasselte Fraul herunter. Adel wand sich unten in der vierten Reihe, blickte zum Plafond, unterbrach immer wieder und flüsterte: »Ich glaube dir nicht, ich glaube dir nicht.«
    Fraul ließ sich davon nicht beeindrucken. Er sah kein einziges Mal zu mir her, obwohl ich ihn intensiv beobachtete und hiebei seinen Blick einfangen wollte. Aber Karl stand vor den Kulissen herum und schnurrte seinen Text unbeteiligt in den alten Nesser hinein, der einen kleinen koboldartigen Theramenes geben wollte und sollte. Als Karl zu der Stelle kam: … denn ich habe bis zum heutigen Tag noch keine
Ungeheuer bezwungen, die mir das Recht geben, zu fehlen wie er , nämlich wie sein Vater Theseus, fuhr Adel hoch und sagte mit lauter Stimme:
    »Na also, das glaub ich dir.«
    Fraul unterbrach sich, schaute zu Adel und dann endlich zu mir. Ich schob mein Kinn vor, runzelte die Stirn und nickte zu ihm hinauf. Er zuckte die Achseln und redete leiernd weiter: »Selbst, wenn mein Stolz sich hätte legen können, hätte ich mir als Sieger Aricia aussuchen sollen?« Das fand ich ganz passend, denn er wirkte schnöselig und arrogant und zugleich ratlos, und diese Mischung war interessant. Doch Adel schnaufte und sagte mitten in die Hippolytusrede hinein die erste Probenunterbrechung an. Nach der Pause erschien er nicht mehr, sondern Scherfele nahm Platz. Das gefiel weder mir noch Fraul, und Nesser wollte überhaupt nicht weitermachen.
    »Ich bin sein Lehrer, sein Gefährte«, beklagte er sich in Frauls Anwesenheit von der Probebühne herunter bei Scherfele und wohl auch bei mir, »aber er redet an mir vorbei, als wäre ich der Tisch dort.«
    »Muss ich dem Waschel zeigen«, fragte Karl mit zischelndem Ton, »dass er mich durchschaut hat, weil er kapierte, dass ich mich gegen meinen Willen in die blöde Aricia verknallt hatte? Muss ich alles nach Schema F machen, bloß weil Nesser es nicht anders kennt?«
    »Weißt was«, antwortete der ihm, »fick dich!«
    »Macht mir keinen Spaß«, sagte Fraul und blickte dem abgehenden Nesser nicht nach, sondern schaute zu mir her. Ich rief:
    »Was rennst du denn davon, Kaspar?«
    Nesser kam wieder zurück.
    »Weil du es bist, Astrid.«
    Und er stellte sich in Positur. Sie brachten die Probe hinter sich, hernach ging Nesser grußlos davon.
     
    In der zweiten Vorprobe musste Karl mit der Katharina Dronte ran, die wie er etwas Genialisches hat. Es knisterte ganz gut zwischen den beiden, aber mir schien es, dass er mit mir spielte und nicht mit ihr. Als er sagte: » Welch rauhe Sitten, welch noch so versteinerter Haß, würden nicht bei eurem Anblick besänftigt? Konnte ich dem trügerischen Zauber widerstehen  …« und nach Katharinas superkokettem » Wie, Herr? « schaute er ihr in den Ausschnitt, um hernach flugs fortzufahren: » Ich bin zu weit gegangen «, als säßen wir wieder im Café Landtmann und er würde baggern und braten. Scherfele klatschte leise in die Hände.
    »Weiter, weiter.«
    Doch Fraul sprach nicht weiter, besah Aricia noch ein wenig, um dann beide Arme fallen zu lassen und abzugehen. Scherfele warf mir einen Blick zu, ich stand auf und ging nach hinten. Dort saß Karel auf dem Boden und blieb stumm, auch als ich ihn ansprach. Ich nahm seine Hand und zog ihn hoch, er fasste mich um die Schultern und begann loszuheulen. Katharina erschien, blieb unschlüssig stehen und setzte sich schließlich, nahm sich eine Zigarette und schwieg. Nachdem Karl sich etwas beruhigt hatte, sagte sie: »Du bist doch Klasse.«
     
    Erst bei der dritten Vorprobe gings aufwärts mit ihm. Sie probten dort weiter, wo Karl am Vortag abgebrochen hatte. Adel war gnädigst wieder auf seinem Platz, wohl auch wegen seiner Tochter und um zu erkunden, wie die sich jetzt mit dem Fraul einspielte. Im Anschluss hatte ich dann Probe mit ihm in unserer einzigen gemeinsamen Szene. Eben sagte Karel mit halber Stimme: » Ich, der ich hochfahrend der Liebe die Stirn bot und lange Zeit die Ketten ihrer Opfer verhöhnte; der ich den Schiffbruch der schwächlichen Menschen beklagte, dachte, stets vom Ufer aus die Stürme zu betrachten; da ich

Weitere Kostenlose Bücher