Der Kampf beginnt
»Das freut mich. Das sind gute Leute hier - und sie brauchen eure Hilfe.«
»Was sie brauchen, ist eine Transportmöglichkeit zurück nach River's End. Die ganze Nacht haben wir sie paarweise abtransportiert, und bei diesem Tempo haben wir erst morgen Abend alle in der Stadt.«
»Ich bin in einem Trooper gekommen.« Raul sah, wie sie konzentriert die Stirn runzelte und ahnte ihre nächste Frage. »Truppentransporter. Achtundzwanzig Plätze. Man könnte ein halbes Dutzend in Tragen in die Kabine legen und die Verletzten, die sitzen können, auf den Sitzplätzen mitnehmen.«
»Wäre nur gerecht, vermute ich, schließlich war es das Militär, dem sie ihren Zustand zu verdanken haben.«
»Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten, Jess.«
»Warum nicht? Das alles hier ist doch das Ergebnis eines Streits, oder etwa nicht? Kämpfe, Schlachten, Blutvergießen. Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Oder?«
»So etwas glaube ich nicht, und das weißt du auch.« Raul trat näher und senkte die Stimme zu einem rauen Flüstern, das nur für Jessicas Ohren bestimmt war. »Aber vielleicht wäre es dir lieber, wir würden Achernar einfach dem erstbesten Tyrannen übergeben, der unseren Exarchen herausfordert.«
»Nein, würde ich nicht«, erwiderte sie mit einem energischen Aufstampfen.
Sie sah aus, als wollte sie ihm noch eine Ohrfeige verpassen. Oder vielleicht einen kräftigen Tritt ans Schienbein. Raul hatte Jessica noch nie so außer sich vor Wut erlebt - und gleichzeitig so unfähig, ein Ziel für ihren Zorn zu finden: ihre kurzen, abrupten Atemstöße, die Art, wie sie sich fest genug auf die Unterlippe biss, um sichtbare Spuren zu hinterlassen, das leichte Kopfschütteln. Er machte sich gerade erst allmählich klar, dass sie über die Situation wütend war, in der sie sich befanden, und wütend auf sich selbst, bevor sie es offen zugab.
»Du hast keine Ahnung, wie schwer es ist, zuzugeben, dass einer der wichtigsten Glaubenssätze, an denen man so lange sein Leben ausgerichtet hat, der Herausforderung durch die Wirklichkeit nicht standhält, Raul. Ich verfolge die Nachrichten. Ich gehe mit zivilen Freiwilligengruppen hinaus auf die Schauplätze. Und dann höre ich die so genannten Experten Meinungen in die Welt posaunen, die von keinem Faktenwissen getrübt sind und darüber schwafeln, was sie täten, wenn sie etwas zu sagen hätten - und weißt du was? Ich erwische mich dabei, für deine Seite der Debatte zu argumentieren.«
Er setzte zu einer Entgegnung an, wollte sie trösten, doch sie hob abwehrend die Hand. »Lass mich ausreden.« Sie schaute über die Schulter zurück zu der Verwundeten. Zu Tassa. »Ich betrachte Krieg als ein Verbrechen. Anders kann ich es nicht sehen, Raul. Aber in den letzten Wochen habe ich auch nach und nach zugeben müssen, dass du den Krieg nicht nach Achernar gebracht hast. Und auch die Republikgarde nicht. Das taten die Stahlwölfe. Das hat der Schwertschwur getan. Und wir können nicht einfach die Augen verschließen und zulassen, dass eine Militäraktion nach der anderen ungehindert unsere Welt überrollt. Also brauchen wir Soldaten. Und wir brauchen Bürger, die ein begründetes Interesse am Fortbestand der Republik haben, die hoffentlich in der Lage sein wird, auf gewaltlosem Weg für Veränderungen zu sorgen, die verhindern, dass sich so etwas jemals wiederholt.«
Raul hatte noch nie eine derartige Kapitulation in Jessicas Stimme gehört. Sie hisste die weiße Fahne. Und das, gerade als er ihr sagen wollte ... »Ach, zur Hölle, Jess. Jetzt kommst du mit so einer Erklärung, da ich dir gerade in allen Punkten Recht geben will. Ich weiß nicht mehr, ob ich das jemals aus den richtigen Gründen wollte.
Möglicherweise haben wir uns beide geirrt.«
In ihren Augen stand genug Verzweiflung für sie beide. Aber trotzdem bot sie ihnen einen Ausweg. »Oder vielleicht hatten wir beide Recht. Ein wenig.« Dann ging ihr Blick zwischen Raul und Tassa hin und her, ihre Berufspraxis übernahm die Führung und errichtete eine Barriere vor der Bresche in ihrer Abwehr, die sie sich erlaubt hatte. »Sie wird durchkommen. Eine leichte Gehirnerschütterung und eine Haarrissfraktur des Schulterblatts. Ich habe ihr gerade ein Beruhigungsmittel gegeben.« Sie ließ den Blick über die Patienten in ihrer Nähe gleiten. »Die meisten von ihnen schlafen. Die wirklich ernsten Fälle haben wir schon nach River's End ausgeflogen. Dein Helikopter wird helfen, heute den Rest
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