Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
würde.
29. DIE JAGD BEGINNT
So schnell er konnte, rannte der Mensch durch die Nacht. Er hatte nicht einmal die Zeit zu bereuen, dass er hiergeblieben war, anstatt mit den anderen zu den Elfen zu fliehen. Er hetzte durch das hohe Gras, wollte über einen Bach springen, stolperte und stürzte prompt ins Wasser. Die Schritte des Ghuls kamen näher, unaufhaltsam stapften die schweren Füße über den Boden.
Der Mensch rappelte sich auf und stürmte weiter, direkt in das kleine Wäldchen hinein. Es dämmerte bald, und er hoffte, in den langen Schatten der Bäume Zuflucht zu finden. Einen Moment lang hielt er im Schutz der Bäume inne, lauschte, doch sein rasender Herzschlag ließ das Blut so laut durch seine Ohren strömen, dass sämtliche Geräusche davon überdeckt wurden.
Todesangst packte ihn, und er rannte weiter. Äste peitschten in sein Gesicht, und im Zwielicht des Waldes sah er nun, dass er nicht der Einzige auf der Flucht war. Noch mehr Menschen irrten zwischen den Bäumen umher. Es waren wie er einstige Bewohner von Arbor, die es versäumt hatten, sich in Sicherheit zu bringen und der trügerischen Hoffnung erlegen waren, in den Hügeln südwestlich des Grenzsees überleben zu können. Doch dann war diese gigantische Armee aufgetaucht: Tausende und Abertausende Erinyen und Ghule waren von Arbor – das nun Zervanador hieß – gekommen. Gerüchten zufolge marschierten sie nach Westendtal und suchten nördlich des Grenzsees Zugang zu den Vergessenen Tälern. Kaum hatten sie die Menschen in den Hügeln entdeckt, hatte die Jagd begonnen, und stinkende Ghule waren über sie hergefallen.
Da er bloß einer von vielen war, die von der blutrünstigen Meute durch das Unterholz gehetzt wurden, hoffte er, entkommen zu können. So hielt er es für das Beste, in Deckung zu gehen und bewegungslos abzuwarten, bis alles vorüber war. Rechts von ihm befand sich ein umgekippter Baum, dessen Wurzelteller senkrecht in die Höhe ragte. Er hechtete in die Erdkuhle, die der gefallene Baum hinterlassen hatte, und bedeckte sich selbst so gut es ging mit Zweigen. Nun ertönten auch schon die ersten Schreie, schrill und voller Angst. Ghule knurrten – und plötzlich raschelte es direkt neben seinem Versteck. Er spähte zwischen Ästen und Laub hervor. Nur wenige Schritte entfernt stand eine Frau. Ihre Beine zitterten, und ihr Atem ging schwer, dann sank sie vor Erschöpfung auf die Knie. Er kannte sie: Es war die Tochter des Schmieds.
Etwas bewegte sich hinter einem Gebüsch, ein Schemen nur, aber er kam näher. Der Mann sah, wie die Frau verzweifelt den Kopf schüttelte. Kurz überlegte er, ihr zu Hilfe zu eilen, doch als sein Blick auf den Ghul fiel, erstarrte er. Noch nie hatte er ein derartig großes Exemplar gesehen. Seine Haut war dunkel, nicht bleich wie bei den anderen, und langes, weißes Haar fiel über außerordentlich muskulöse Schultern. Er konnte sogar die großen Nasenflügel des Ghuls sehen, die vor Aufregung bebten.
Die Tochter des Schmieds hob die Hände, flehte darum, am Leben bleiben zu dürfen, bat um Gnade. Doch der Ghul kannte keine. Blitzschnell stürzte er sich auf die Frau und hob sie in die Luft. Einer seiner dicken Arme schlang sich um ihren Hals – dann drückte er zu.
Der Mensch wandte den Kopf ab, das Geräusch brechender Knochen hörte er dennoch. Als er die Augen wieder öffnete, beugte sich der Ghul über den schlaffen Körper und aß.
Die Zeit verstrich quälend langsam, die Geräusche des Waldes verstummten. Auch die Schreie, die bis vor Kurzem noch durch den Wald gehallt waren, wurden schwächer.
Irgendwann hatte der Ghul sein Mahl beendet. Sein Maul war blutverschmiert, ebenso seine Hände und die Spitzen seiner weißen Haare. Schließlich erhob er sich, doch anstatt zu gehen, kam er auf das Versteck zu. Leise, als würde er den Boden gar nicht berühren, schlich er auf den Menschen zu.
Mit einem Mal jedoch hielt der Ghul inne. Dann erklang ein fernes Donnergrollen. Es kam irgendwo aus dem Norden, wurde immer lauter und schien nicht enden zu wollen. Vielleicht war es ein Gewitter, vielleicht eine Gerölllawine. Nach und nach ebbte das Geräusch ab und hinterließ eine vollkommene Stille im Wald.
»Heute hast du Glück«, schnarrte der Ghul leise, dann wandte er sich ab und verschwand.
»In spätestens zwei oder drei Tagen sollten wir den Zugang zu den Vergessenen Tälern erreichen«, sagte Moydana und ließ sich zu Zervanas Füßen nieder. Die Usurpatorin stand mit dem Rücken an
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