Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
stattdessen schneller laufen«, rief Gwendalon, ohne sich umzudrehen. Alvendorah dagegen warf ihnen ein strahlendes Lächeln zu, das auf Enna eine erheiternde, nahezu wärmende Wirkung hatte.
»Verratet bloß den Elfen nichts«, flüsterte Bronn rasch hinter vorgehaltener Hand, dann verhielten die Halblinge sich still und schlossen zu Alvendorah und Gwendalon auf.
Nach und nach ging das Buschland in einen sonderbaren Nadelwald über. Auf den vielen kleinen Hügeln des unebenen Bodens wuchsen paarweise Tannen, die sich dem Himmel entgegenstreckten. Das Ungewöhnliche jedoch war, dass sich die Stämme der Bäume weiter oben umeinanderschlangen, als wollten sie sich umarmen. Keine einzige Tanne ragte in diesem Wald alleine in die Höhe, immer waren es zwei. Ihre Kronen standen dicht beieinander und schwankten hoch oben im Wind, wie Liebende, die sich in einem innigen Tanz verloren hatten.
Als die kleine Gruppe den Wald betrat, verstummte gerade das Vogelgezwitscher und die Dunkelheit brach herein.
»Wir sollten Rast machen«, schlug Gwendalon vor, nachdem er eine Weile nachdenklich die Bäume betrachtet hatte. Ohne eine Antwort seiner Weggefährten abzuwarten, steuerte der Elf auf eine Senke zu, in der sich ein kleiner Teich befand, der von einem schmalen Wasserlauf gespeist wurde. Am Ufer des stillen Gewässers ließen sie sich nieder, und Gwendalon entzündete ein Feuer. Die Gefährten drängten sich um die züngelnden Flammen, die flackernd ihre Gesichter erhellten.
Auch heute verteilte Alvendorah ihren gaumengefälligen Zauber, und so war bald nur noch ein genüssliches Schmatzen zu vernehmen. Enna schaute auf den kleinen See, in dem sich der Vollmond spiegelte. Zwar faszinierte sie der Anblick, doch irgendetwas stimmte damit nicht. Außerdem erfüllte sie eine tiefe Traurigkeit, und sie hatte keine Ahnung, woher diese so plötzlich kam.
»Wie lange sind wir eigentlich in diesem Drachenkrater gewesen?«, fragte sie.
»Einen halben Tag, schätze ich«, antwortete Jorim.
Enna legte den Kopf in den Nacken und schaute zwischen den sich leise im Wind wiegenden Baumkronen hindurch zum Himmel. Geisterhaft und schnell zogen Wolkenfetzen am Mond vorüber. »Aber wir haben plötzlich Vollmond, und das kann nicht sein. Mehr als eine fahle Sichel dürften wir noch gar nicht sehen.«
»Dies ist ohnehin ein merkwürdiger Wald«, stellte Bronn fest. »Seht euch diese verschlungenen Bäume an.«
»Ich hätte nie gedacht, dass ich es eines Tages erlebe, aber wir befinden uns in den Zwillingswäldern«, erklärte Gwendalon plötzlich.
»Zwillingswälder? Was soll das sein?« Jorim betrachtete den Elfen neugierig.
»Für jedes verlorene Seelenpaar wachsen in diesen Wäldern zwei Bäume«, erklärte Alvendorah mit leiser Stimme. »Es gibt Seelen, die einander sehr nahestehen, und wenn sie in diese Welt eintreten, tun sie das stets gemeinsam. Sie kommen als Geschwister, oft auch als Zwillinge, auf diese Welt«, sie schlang die Arme um ihre Knie und blickte verträumt auf das Spiegelbild des Mondes im Teich, »oder aber als Liebende. Es kann jedoch geschehen, dass die Natur nur einen Körper bereithält, in den dann nur eine Seele hineingeboren werden kann. Die andere Seele bleibt zurück in der Welt der Geister. Der Schmerz einer solchen Trennung muss fürchterlich sein.« Kurz hielt Alvendorah inne und warf Gwendalon einen flüchtigen Blick zu. In ihren dunkelblauen Augen spiegelten sich die Flammen, und Enna glaubte, eine verborgene Sehnsucht darin erkennen zu können. »Eine Legende unseres Volkes besagt«, fuhr sie fort, »dass für jedes der getrennten Seelenpaare zwei Bäume in den Zwillingswäldern wachsen, die einander umschlingen. Sie tun dies so lange, bis sich die verlorenen Seelen wiederfinden. Die Zwillingswälder wandern, sind einmal hier, einmal dort. Nur selten geschieht es, dass man in sie hineingerät.« Alvendorah deutete mit der Hand zum Nachthimmel. »Der Mond, der hier scheint, ist ein anderer.«
»Das klingt sehr traurig«, sagte Enna leise. Sie überlegte, ob für sie und Jorim auch ein solches Baumpaar in diesem Wald gewachsen wäre, wenn sie getrennt worden wären.
»Dann gibt es für jeden Baum hier eine Seele, die sich verloren fühlt?« Bronn, der sich gegen einen der Bäume gelehnt hatte, wandte sich um und strich mit dem Finger darüber.
»So ist es«, antwortete Alvendorah. »Manche der zurückgebliebenen Seelen kommen hierher, um in diesen Wäldern zu trauern. Könnt ihr den Seelenschmerz
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