Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
einen Baum gelehnt auf einem Hügel und sah nach Osten. Ihr Blick wanderte über die unzähligen Senken, in denen man sich an anderen Tagen gut verbergen konnte. Nicht so an diesem Tag, denn heute lagerten dort dreißigtausend Erinyen und Ghule.
»Wären die nach Blut gierenden Ghule nicht auf Menschenjagd gegangen, würden wir unser Ziel einen halben Tag früher erreichen«, schimpfte Zervana.
»Die Ghule sammeln Kraft für die bevorstehende Aufgabe«, erklärte Yorak. Die Verachtung, die er den Ghulen entgegenbrachte, war seiner Stimme deutlich anzuhören. »Das zumindest waren Hanafehls Worte.«
»Hungrige Ghule sind schwer zu kontrollieren«, entgegnete Zervana. »Vielleicht ist das der wahre Grund, der ihn zu dieser Jagd treibt.«
»Mag sein«, pflichtete Yorak ihr bei. »Es ist ein langer Weg nach Norden, und ein Anführer muss seine Herrschaft jeden Tag aufs Neue sicherstellen.«
»Je größer die Taten des Herrschers sind, desto weniger muss er seinen Herrschaftsanspruch unter Beweis stellen«, hielt die Usurpatorin dagegen.
Zervana musterte Yorak, dessen scharfkantiges Gesicht keinerlei Regung zeigte. Die Arme vor der Brust verschränkt, stand der große Erinya einige Schritte von ihr entfernt. Im Westen näherte sich die Sonne allmählich dem Horizont, und ihre letzten Strahlen brachten nicht nur Yoraks schwarze Haare zum Glänzen, sondern ließen auch die silbernen Intarsien auf dem dunklen Holz seiner Geißel schimmern.
»Wann verrätst du mir, was diese Schriftzeichen bedeuten?« Sie nickte in Richtung der Erinyen-Waffe, die an seinem Gürtel hing.
»Am Tag, wenn die Feuer unserer Lenden auflodern und wir im Kampf der Leidenschaft miteinander ringen.« Yorak sah sie aus seinen dunklen Augen herausfordernd an und schob sein ausgeprägtes Kinn nach vorne. Lust wallte in Zervana auf, wie immer wenn sein Blick auf diese Weise über ihren Körper glitt. Doch noch konnte sie ihrem Verlangen nicht nachgeben, denn würde sie eine Erinya in ihrem Leib tragen, wäre sie zu verletzlich. Nein, nur sie selbst würde bestimmen, wann er sich ihr hingeben durfte. Daher hob sie stolz den Kopf.
»Heb dir deine Begierde auf. Vielleicht erweise ich dir eines Tages die Ehre.«
»Also warten wir.« Yorak schmunzelte, erhaben und gelassen wie immer.
Zervana nickte, dann stolzierte sie auf ihn zu, stellte sich direkt vor den Erinya und lächelte verschlagen.
»Wir warten. Und mit jedem Tag, der verstreicht und an dem unser Begehren wächst, wird unser Ringen heftiger und gefährlicher, vielleicht sogar tödlich sein.«
Yorak neigte den Kopf. »Eure Lust zu spüren, scheint mir den Tod wert.«
»Natürlich ist sie das«, sagte Zervana leise, legte ihre Hand auf Yoraks Brust und schob ihn zurück. »Geh jetzt, Yorak! Sieh nach meinem Heer, denn noch heute Nacht will ich aufbrechen.«
Abermals verneigte sich Yorak, dann ging er mit großen Schritten davon.
»Eine ungewöhnliche Waffe, die er trägt«, sagte Moydana.
Zervana war sich nicht ganz sicher, ob die Erinya wirklich von der ungewöhnlichen Peitsche sprach, aus deren Ende eine Klinge herausragte.
»Ein ungewöhnlicher Erinya«, flüsterte Zervana und blickte Yorak hinterher. »Stark und gut aussehend. Nichts weist auf seine menschliche Abstammung hin.«
Moydana erhob sich und ging gemessenen Schrittes auf Zervana zu. Begierde blitzte in ihren Augen auf. »Wenn Ihr wünscht, die Zeit rascher verstreichen zu lassen, so wisst Ihr, dass nicht nur meine Fackel für Euch lodert.«
Zervana trat ein wenig nach vorne, sodass ihre Brüste die von Moydana berührten.
»Bist auch du Yoraks Meinung?«, säuselte sie ihr ins Ohr. Zärtlich strich Zervana dabei mit ihrem Fingernagel über eine von Moydanas geschwungenen Augenbrauen. »Bist auch du der Meinung, meine Lust zu spüren, ist den Tod wert?«
Ohne mit der Wimper zu zucken, presste Moydana ihren begehrenswerten Körper fester gegen Zervana.
»Jeder Atemzug im Rausche Eurer Lust ist es wert zu sterben«, hauchte sie, und ihr Atem verursachte ein Kribbeln auf Zervanas Haut.
Die aufwallende Begierde war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Norden, wo die Vergessenen Täler lagen, erhob sich ein gewaltiger Donnerhall.
»Was war das?« Gereizt wandte sich Moydana ab und schaute nach Norden.
Auch Zervana trat einen Schritt nach vorn und ließ ihren Blick über die schroffen Berggipfel gleiten. Nur wenige weiße Wölkchen, deren Ränder im Licht der untergehenden Sonne rötlich leuchteten, zogen über den
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