Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Geschehnissen am Rauchorakel machten sie sich auf den Rückweg.
2. GESCHICHTEN AM TRINKTISCH
»Je belangloser die Fragen sind, desto weniger können sie sich einigen«, klagte Enna, während die zwei durch die Tannenwälder hangabwärts schritten.
»So ist es. Das Orakel zu befragen, nur weil der alte Schmied sich die Zehen gebrochen hat, so ein Unsinn!« Jorim schüttelte den Kopf. »Ich finde die Tradition, den Familiennamen bei besonderen Ereignissen oder Verdiensten zu ändern, ja gut …«
»Aber nur, wenn es auch wirklich Sinn macht!«, nahm Enna ihm die Worte aus dem Mund.
»Und ich für meinen Teil würde gar nicht wollen, dass unser Name geändert wird«, überlegte Jorim.
»Borkenfeuer ist ja auch ein guter Name!«, pflichtete ihm Enna bei und nahm Anlauf, um über einen kleinen Tümpel zu springen, in dem es von Kaulquappen nur so wimmelte. Enna gelang es knapp, über den Teich hinwegzusetzen, und Jorim musste schmunzeln. »Wenn du jetzt ins Wasser gefallen wärst, würdest du Wassertreter heißen, so wie Helebert.«
»Oder Kaulquappentöter.«
»Wie ruhmreich«, murmelte Jorim und entschloss sich, lieber um den Teich herum zu gehen.
Mittlerweile war es später Nachmittag geworden und die Sonne bereits hinter den Schroffen Bergen verschwunden. Die Dämmerung lag über den Wäldern von Nordbruch, und eine feuchte Kühle strich über die Wangen der beiden Halblinge wie der gehauchte Kuss eines kalten Wesens.
»Was war das?«, rief Jorim plötzlich. Er ergriff Enna am Arm und blieb abrupt stehen.
»Was denn?«
»Da vorne.«
»Ich hab nichts gesehen.«
Jorim nahm Enna bei der Hand und schlich geduckt hinter den nächsten Baum. Langsam ließ er sich in die Hocke nieder und lugte dann um den Baum herum. »Es ist weg.«
»Was ist weg?« Enna runzelte die Stirn.
»Der Schatten.«
Enna packte Jorim an der Schulter. »Was für ein Schatten?«
»Ich weiß es nicht genau. Mir war, als hätte ich jemanden durch die Bäume huschen sehen.«
»Jorim«, meinte Enna beruhigend, »wir sind nicht die Einzigen, die den Rat bei seiner Schmaucherei beobachten.«
»Ja, mag sein«, gab Jorim nervös zurück, »aber das war kein Halbling.«
»Wir leben hier in Westendtal«, klärte ihn Enna auf. »Hier gibt es nur Halblinge – und die Tiere natürlich.«
Gebannt schaute Jorim in den Wald, konnte aber nichts erkennen.
»Außerdem«, fuhr Enna fort, »wimmelt es hier von Schatten, wenn die Sonne hinter den Bergen …« Enna brach ab. Jorim wandte sich zu seiner Schwester um und bemerkte, dass sie hinauf in die Bäume starrte.
Er folgte ihrem Blick. »Was ist da oben?«
»Nichts«, sagte sie ganz leise, ohne den Blick von den Baumkronen abzuwenden. »Und genau das läuft mir den Rücken runter wie eine Armee Waldameisen.«
»Du hast recht. Kein Lüftchen bewegt die Blätter, kein Vogel, weder Eichelhäher noch Fink, pfeift, und kein einziges Eichhörnchen ist zu sehen.«
Enna rückte dichter an Jorim heran. »Es ist still geworden im Wald, Jorim, viel zu still. Selbst der Geruch von Harz und Moos ist fort.«
Sie drängten sich aneinander, während sie umherspähten, und Jorim war dankbar für die braune Kleidung, die er trug. Lediglich Ennas helles Hemd machte ihm Sorgen.
Angestrengt versuchten die Geschwister in der zunehmenden Düsternis etwas auszumachen. Doch sie konnten lediglich ein paar huschende Schatten erkennen. Eine ganze Weile wagten sie nicht aufzustehen, drückten ihre Rücken fest gegen den Baumstamm.
Da richtete sich Enna plötzlich auf und deutete mit dem Zeigefinger in die Luft. »Da!«
»Was war das?«, fragte Jorim.
»Ein Eichelhäher.«
»Zu klein für einen Häher, Enna.«
Sie lauschten noch einen Augenblick, konnten aber nichts Verdächtiges hören.
»Komm schon Jorim, wenn überhaupt etwas da draußen war und wir es uns nicht nur eingebildet haben, dann ist es jetzt weg. Mir ist, als fühle sich der Wald wieder normal an.«
Jorim sog die Luft ein. »Du hast recht. Es fühlt sich … besser an.«
»Dann lass uns gehen, bevor es ganz finster wird.«
Vorsichtig erhoben sie sich und schlichen weiter in Richtung Eichenhain. Dabei wandten sie sich immer wieder um, spähten nach links und rechts. Die Schatten eroberten nun den Wald, und mehr als einmal glaubte Jorim ein leises Rascheln zu hören oder meinte gar das flüchtige Aufblitzen eines Augenpaars zu erkennen, das ihn beobachtete.
Enna rieb sich über die Arme, als fröstelte sie. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber
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