Der Kampf der Insekten
Mißtrauen. Er war mittelgroß und untersetzt, mit welligem schwarzem Haar. Seine Hautfarbe war ein dunkles Olivbraun, und er hatte ein schmales Patriziergesicht mit einer ausgeprägten Hakennase, das in einem seltsamen Kontrast zu seiner stämmigen, kraftvollen Gestalt stand. Rhin fand ihn zugleich hübsch und brutal, und Chen Lus gespielte Gleichgültigkeit schien zu bestätigen, daß dies der Mann sei, um dessentwillen sie hier waren.
Der Gedanke hatte zur Folge, daß sie sich mit einem sonderbaren Gemisch von Befriedigung und Unbehagen ihres eigenen Körpers bewußt wurde. Sie wußte, wie sie in diesem Raum voller dunkler, südländischer Frauen wirken mußte. Sie war eine rothaarige Irin mit graugrünen Augen und Sommersprossen auf Nase und Stirn, und ihre Haut war sehr weiß und empfindlich. In diesem Raum war sie der exotische Typ.
»Wer ist der Mann an der Tür?« fragte sie.
Ein kleines Lächeln ging über Chen Lus gemeißelte Züge. Er blickte zum Eingang.
»Welcher Mann, meine Liebe? Ich sehe sieben dort stehen.«
»Oh, Sie wissen sehr gut, welchen ich meine«, sagte sie und ärgerte sich, daß sie dabei errötete.
Die Mandelaugen betrachteten sie prüfend, blickten wieder zur Gruppe am Eingang. »Das ist Joao Martinho, der Sohn von Gabriel Martinho.«
»Joao Martinho?« sagte sie. »Ist das nicht der Mann, von dem Sie mir erzählt haben? Der das Piratininga-Gebiet gesäubert und eine Prämie dafür kassiert hat?«
»Derselbe.«
»Wieviel?«
»Ah, die praktisch denkende Frau«, sagte er lächelnd.
»Wenn ich richtig unterrichtet bin, waren es fünfhunderttausend Cruzeiros. Aber einen Teil davon mußte er seinen Leuten auszahlen.«
»Ich hörte den Namen Joao Martinho zum erstenmal an der Gerüchtebörse der IBÖ«, sagte Rhin.
»Ah, die Gerüchtebörse. Was wurde dort kolportiert?«
»Sein Name und der seines Vaters wurden erwähnt«, sagte sie ausweichend. »Es gibt seltsame Gerüchte.«
»Und Sie finden sie unheimlich?«
»Nein – nur seltsam.«
Er senkte seine Stimme. »Seltsam ist vielleicht nicht das richtige Wort für das, was hier vorzugehen scheint.«
»Ich hörte einige sehr abenteuerliche Geschichten«, murmelte sie. »Bandeirantes sollen geheime Laboratorien haben, wo sie illegale Experimente mit Mutationen machen, aus welchen Gründen auch immer.«
»Das halte ich für ausgemachten Unsinn«, sagte Chen Lu. »Sie werden bemerkt haben, Doktor Kelly, daß die meisten Meldungen über unbekannte Rieseninsekten, die uns auf Umwegen erreicht haben, von Bandeirantes stammen. Das verleitet einfältige Zeitgenossen zu der Vermutung, die Bandeirantes selbst seien die Urheber solcher Dinge. Mir scheint die ganze Sache eher mit dem brasilianischen Talent zu phantasievoller Übertreibung zusammenzuhängen.«
»Nun, die Bandeirantes sind draußen in der vordersten Linie, wo solche Dinge vorkommen könnten.«
»Sie, als Entomologin, glauben an solche Geschichten?«
Sie zuckte die Achseln.
»Logik«, sagte Chen Lu. »Der Gebrauch von haarsträubenden Gerüchten, um unter den unwissenden Cabocios abergläubische Furcht zu säen und sie so von den roten Zonen fernzuhalten. Das ist die einzige Logik, die ich sehen kann.«
»Sie wünschen also, daß ich diesen Bandeirante-Häuptling bearbeite«, sagte sie.
Er lächelte wieder. »Warum sind Sie so sicher, daß dieser Martinho Ihr Ziel ist? Wurde auch das an der Gerüchtebörse gehandelt?«
Sie schnaufte ärgerlich. Chen Lu wandte sich um und winkte einen Kellner heran, der sich zu ihm beugte. Nach einem Moment ging der Kellner zwischen den Tischen durch auf die Gruppe der Bandeirantes zu, die eben im Begriff war, sich in einer Ecke niederzulassen. Er sprach zu Joao Martinho.
Der Bandeirante blickte herüber. Chen Lu nickte leicht.
Mehrere Frauen hatten sich zu Martinhos Gruppe gesellt. Für Rhin, die mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut war, blieb unklar, ob sie Animierdamen oder Prostituierte waren. Das Augen-Make-up dieser Mädchen erweckte den Anschein, als blickten sie aus tief eingefallenen Höhlen, und gab ihren Augen etwas Starres, Vogelhaftes. Martinho kam herüber und verbeugte sich vor dem Chinesen. »Doktor Chen Lu, nicht wahr?« sagte er. »Ich fühle mich geehrt. Wie kann die IBÖ ihren Abteilungsdirektor für eine solche Tändelei entbehren?« Seine Armbewegung schloß den ganzen Raum mit ein.
»Ein wenig Entspannung«, sagte Chen Lu. »Eine Gelegenheit, ein neues Mitglied unseres Stabes in zwangloser
Weitere Kostenlose Bücher