Der Kampf mit dem Dämon
Heldentum, der Kampf um die Freiheit sein: aber auch dies Ideal zerschellt an der Wirklichkeit, die Krieg zur Plünderung, Roheit und Mord erniedrigt. Bis in die Urheimat folgt der sehnsüchtige Pilgrim seinen Göttern: aber Griechenland ist nicht Hellas mehr, ein ungläubiges Geschlecht entheiligt die mystische Stätte. Nirgends findet Hyperion, der Schwärmer, mehr Ganzheit, nirgends Einklang, ahnend erkennt er das furchtbare Los, zu früh oder zu spät in diese Welt gekommen zu sein, er ahnt die »Unheilbarkeit des Jahrhunderts«. Die Welt ist ernüchtert und zerstückt.
Aber die Sonne des Geists, die schönere Welt, ist hinunter,
Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nur.
Und wie ihn nun, einem urmächtigen Zorne nachgebend, Hölderlin noch nach Deutschland jagt, wo er selbst im einzelnen Menschen noch den Fluch des Zerteiltseins, der Spezialisierung, der Loslösung vom heilig Ganzen des Lebens erfährt, da erhebt Hyperions Stimme sich zu furchtbarster Warnung. Es ist, als sähe der Seher die ganze Gefahr des Abendlandes aufsteigen, den Amerikanismus, die Mechanisierung, die Entseelung des aufsteigenden Jahrhunderts, von dem er so glühend die »Theokratie des Schönen« erhofft.
Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt
Höret jeglicher nur ... doch immer und immer
Unfruchtbar wie die Furien bleibt die Mühe der Armen.
Hölderlins Unverbundenheit mit der Gegenwart wird zur Kriegserklärung an die Zeit, an die Heimat, als er sieht, daß in Deutschland noch nicht sein Neugriechenland, sein »Germanien« erscheint, und so erhebt er, der Gläubigste seines Volkes, die Stimme zu fürchterlicher Verfluchung, die härter ist als alle Worte, die je ein Deutscher in verstümmelter, zerstückelter Liebe über sein Volk gesagt. Der als Suchender in die Welt ausgezogen, flüchtet als Enttäuschter in sein Jenseits, in die Ideologie zurück. »Ich habe ihn ausgeträumt, von Menschendingen den Traum.« Aber wohin flüchtet Hyperion? Der Roman hat keine Antwort. Goethe im Wilhelm Meister, im Faust hatte geantwortet: in die Tätigkeit; Novalis: ins Märchen, in den Traum, in die gläubige Magie. Hyperion, der bloß Fragende, nie Schaffende, bleibt ohne Antwort: er »ahnt nur, ohne zu finden«.
Musik einer Ahnung – das ist Hyperion, nicht mehr, kein wahres Gesicht, kein vollkommenes Werk. Auch ohne philologische Perkussion fühlt man deutlich, daß hier verschiedene Schichtungen der Jahre und des Empfindens chaotisch durcheinandergehen, daß die Schwermut eines Enttäuschten im Zustand tiefster Depression mißmutig vollendet, was der Jüngling im Rausch begeisterten Planens freudig begonnen. Herbstmüdigkeit liegt über dem zweiten Teil des Romanes: das klingende Licht der Hölderlinschen Ekstase dämmert nur dunkel hin, und mühsam erkennt man »die Trümmer einst gedachter Gedanken« in der vorbrechenden Düsternis. Ein Torso seiner Jugend ist Hyperion, ein nicht zu Ende geträumter Traum – aber alles Ungetane und Vertane schwindet unmerklich hin in dem herrlichen Rhythmus der Sprache, die in Düsternis wie in Begeisterung gleich rein und selig die Sinne bemeistert. Nichts Reineres hat die deutsche Prosa, nichts Beschwingteres als diese tönende Welle, die nicht einen einzigen Atemzug lang aussetzt: kein deutsches dichterisches Werk hat eine solche Durchgängigkeit des Rhythmus, eine solche Statik der aufgeschwungenen Melodie. Alles erfüllt, durchdringt und hebt diese aufrauschende, auftragende Prosa, sie bauscht die Gewänder der unwahrhaftigen Gestalten, daß sie zu schweben und wahrhaft zu leben scheinen, sie füllt die armen Ideen mit so starkem sprachlichem Schwung, daß sie wie Erkenntnis des Himmels dröhnen, die Landschaften, die ungesehenen, blühen, umschwungen von dieser Musik, wiefarbiger Traum. Hölderlins Genius kommt immer vom Unfaßbaren, vom Inkommensurablen: immer hat er eine Schwinge, immer stürzt er von einer obern Welt in das staunend bewältigte Herz. Immer siegt er, der Schwächste der Kunst und des Lebens, durch Reinheit und Musik.
Der Tod des Empedokles
und
Klar wie die ruhigen Sterne gehen
Aus langem Zweifel reine Gestalten auf
Empedokles ist die heroische Steigerung des Hyperiongefühls, nicht mehr Elegie der Ahnung, sondern Tragik des Schicksalerkennens: was dort lyrisch ausklingt im Schicksalsliede, rauscht hier
empor zu dramatischer Rhapsodie. Aus dem Träumer, dem ratlosen Sucher ist der Held, der wissende und furchtlose, geworden: eine
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