Der Kapuzenmörder
liebreizende Kußhand zu. Ranulf wartete, bis sie hineingegangen war, und lächelte; er hatte große Mühe, seine Ausgelassenheit zu beherrschen, denn am liebsten hätte er vor Freude gebrüllt und geschrien.
Aber Ranulf war zu dem Schluß gekommen, daß die Pflichten des Tages noch nicht erledigt waren. Er kehrte zurück in die Stadt, ging an einem Pfeilmacherladen unweit von Westcheap vorbei und eilte dann, so schnell er konnte, zur Thames Street und zu den Barken hinunter, die in Queenshite lagen. Gern wäre er auf einen Sprung in die Bread Street oder auch zu Maltote nach St. Bartholomew gegangen, aber er war entschlossen, durchzuführen, was er sich vorgenommen hatte. Wenn sein Herr es wüßte oder auch nur ahnte, würde er all seine Macht daransetzen, ihn an der Verwirklichung seiner Pläne zu hindern. Ranulf schlug sich die Kapuze über den Kopf, zog sich den Mantel fester um die Schultern und kletterte in ein Fährboot mit zwei Rudern. Er hielt sein Gesicht verhüllt und wies den Bootsmann mit knappen Worten an, ihn in Southwark abzusetzen, gleich unterhalb der London Bridge. Und während der stämmige Rudersmann das kleine Boot über die aufgewühlte Themse trieb, hielt Ranulf sein Schwert umklammert und überlegte sich sorgfältig, wie er seinen Plan ausführen wollte. Hoffentlich hatte die alte Fitzwarren auch die Wahrheit gesagt. Ranulf hatte ihr gedroht, jeder Hure in London von ihr zu erzählen, wenn sie es nicht täte. Aber sie zu einer Aussage zu zwingen, war noch der leichtere Teil gewesen. Southwark bei Nacht galt in London als Pforte zur Hölle, und Ranulf wußte, daß die Schenke zum Wolfskopf verrufener war als der Teufel selbst.
Der Fährmann, den Ranulfs Schweigsamkeit faszinierte, glaubte, daß sein Fahrgast eines der berüchtigten Bordelle von Southwark besuchen wolle, und ließ ihn nicht an Land gehen, ohne ihm zuvor in krassen Worten ein paar Ratschläge zu geben, wie er das meiste für sein Geld bekommen könne: Im Wirtshaus zur Goldenen Glocke rammelten die Weiber für einen Penny wie die Karnickel, und für zwei würden sie alles tun. Ranulf dachte an die armen, erbarmungswürdigen Leichen, die er gesehen hatte; er lächelte nur düster, und als er an Land war, begab er sich sogleich in das Gewirr der Gassen, die vom Flußufer wegführten. Hier flackerten keine Lampen oder Fackeln. Wohnhäuser und Hütten standen dicht an dicht, und Ranulf hatte das Gefühl, durch ein finsteres Labyrinth zu irren. Aber er wußte, daß Southwark erst nachts zum Leben erwachte: Halsabschneider, Taschendiebe, Zuhälter, Vagabunden und Gesetzlose durchstreiften die Gassen auf der Suche nach Opfern unter den Schwachen und Unbewaffneten. Die Gossen waren verstopft von allerlei Dreck, der stank wie der faulende Abfall aus einem Leichenhaus. Als Ranulf weiter in die Dunkelheit vordrang, lösten sich finstere Gestalten aus schmalen Haustüren, verdrückten sich aber gleich wieder, als sie seinen Dolch und sein Schwert erblickten.
Endlich hatte er den Wolfskopf gefunden; es war eine kleine, schmutzige Taverne mit schmalen Fensterschlitzen, aus denen wilder Lärm drang. Ranulf stieß die wacklige Tür auf und trat ins stickige Halbdunkel. Als er eintrat, verebbte das Getöse. Ranulf schlug den Mantel beiseite, so daß man Schwert und Dolch sehen konnte, und die Unterhaltung lebte wieder auf. Ein schmieriger, fettgesichtiger Schankwirt kam unter wippenden Verbeugungen herbei, als sei Ranulf der König selbst. Mit gierigen Augen musterte er den feinen Stoff von Ranulfs Mantel und die gutbesohlten Lederstiefel. »Ale? Oder Wein, Master?« winselte er. »Ein Mädchen? Oder vielleicht zwei?«
Ranulf winkte ihn dichter zu sich heran und packte den Mann bei seinem bekleckerten Wams.
»Ich will Wormwood sprechen!« knurrte er. »Und lüg nicht, du Fettkloß. Er und seine Kumpane treffen sich immer hier. Man kann sie kaufen, oder?«
Der dicke Schankwirt leckte sich die Lippen, und seine Augen blickten flink hin und her wie die einer gefangenen Ratte. »Nicht hinschauen!« zischte er. »Aber da hinten in der Ecke, da sitzen Wormwood und seine Kumpane. Sie sind hier. Was wollt Ihr denn, Herr? Ein Würfelspiel vielleicht?« Ranulf stieß ihn von sich. »Ja. Ja«, murmelte er. »Ein Würfelspiel.«
Er stieß den Mann beiseite, ging in die Ecke und betrachtete die vier Spieler, die rissige Würfel aus einem schmutzigen Becher rollen ließen. Erst beachteten sie ihn nicht, aber dann blickte der Einäugige in der Ecke auf.
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