Der Kardinal im Kreml
daà sein Tagebuch noch versteckt in der Schreibtischschublade lag, und hoffte, es wie üblich vernichten zu können. Schon lag ein neues, leeres Buch bereit; am Vortag hatte er Neues über die Lasergeschichte und von einer Studie über Raketensysteme gehört, die er nächste Woche zu Gesicht bekommen sollte.
Auf der Fahrt zur Arbeit schaute er aufmerksamer als sonst aus dem Fenster. Trotz der frühen Stunde waren viele Laster auf der StraÃe, und einer versperrte ihm den Blick auf einen bestimmten Abschnitt des Randsteins: Das Zeichen, daà die Daten verlorengegangen waren, sollte an dieser
Stelle erscheinen. Er fand ärgerlich, daà er nicht sehen konnte, ob das Signal angebracht worden war, machte sich aber keine groÃen Sorgen, denn seine Berichte gingen nur selten verloren. Das Signal âºÃbergabe erfolgreichâ¹ war an einer anderen Stelle und immer leicht zu sehen. Oberst Filitow setzte sich im Wagen zurück und schaute zum Fenster hinaus, als sie sich dem Punkt näherten. Das Zeichen fehlte. Merkwürdig. War das andere angebracht gewesen? Das muÃte er heute auf dem Heimweg überprüfen. Seit er für die CIA arbeitete, waren seine Berichte mehrere Male verlorengegangen, ohne daà man ihm das Gefahrenzeichen gab oder daà ein Anrufer âºSergejâ¹ verlangte und ihm damit zu verstehen gab, seine Wohnung sofort zu verlassen. Also keine Gefahr, sondern nur ein lästiger Zwischenfall. Der Oberst entspannte sich und sann über seinen Arbeitstag im Ministerium nach.
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Diesmal war die Metro voll besetzt. Ganze hundert Bedienstete des Zweiten Direktorats befanden sich in diesem einen Bezirk, teils wie normale Moskowiter gekleidet, teils wie Arbeiter. Letztere bedienten die parallel zur elektrischen Steuerung des gesamten U-Bahn-Systems eingebauten âºschwarzenâ¹ Telefonverbindungen. Der Vernehmungsbeamte und sein Gefangener fuhren in Zügen der lila und grünen Linie hin und her und hielten nach einer jüngeren Frau Ausschau, die einen Mantel aus dem Westen trug. Obwohl die U-Bahn täglich von Millionen benutzt wurde, empfanden die Abwehroffiziere Zuversicht. Die Zeit arbeitete für sie, und sie hatten das Psychogramm der Zielperson: Abenteurerin. Vermutlich hatte sie nicht die Disziplin, ihre tägliche Routine von ihren verdeckten Aktivitäten zu trennen. Wie ihre Kollegen überall auf der Welt waren die sowjetischen Geheimdienstleute fest davon überzeugt, daà jemand, der gegen sein eigenes Land spionierte, mit einem fundamentalen Makel behaftet sein muÃte. Solche Verräter würden trotz ihrer Gerissenheit letzten Endes zu ihrer eigenen Vernichtung beitragen.
Und zumindest in diesem Falle hatten sie recht. Swetlana
trat mit einem kleinen braunen Paket in der Hand auf den Bahnsteig. Der Kurier erkannte sie zuerst an ihrem Haar und wollte auf sie zeigen, doch seine Hand wurde heruntergerissen. Sie drehte sich um, und der KGB-Offizier bekam ihr Gesicht zu sehen.
Er sprach in ein kleines Funkgerät, und als die Frau in den nächsten Zug stieg, bekam sie Gesellschaft. Der Mann vom Zweiten Direktorat, der hinter ihr in den Wagen trat, trug einen Ohrhörer, der sich kaum von einem Hörgerät unterschied. Im Bahnhof alarmierten Männer über die Telefonverbindung Agenten in allen Stationen. Als sie ausstieg, war ein volles Beschattungsteam bereit und folgte ihr über die lange Rolltreppe auf die StraÃe. Dort stand ein Wagen, und weitere Agenten begannen mit der Observation. Mindestens zwei Männer hielten visuellen Kontakt mit der Zielperson, und immer mehr nahmen an der Verfolgung teil, bis das GOSPLAN-Gebäude im Marx-Prospekt erreicht war. Sie wuÃte nicht, daà sie verfolgt wurde, und unterlieà auch jeden Versuch, sich nach Beschattern umzusehen. Binnen einer halben Stunde waren zwanzig Fotos entwickelt und dem Festgenommenen gezeigt worden, der sie eindeutig identifizierte.
AnschlieÃend ging man behutsamer vor. Ein Wächter vom GOSPLAN-Haus gab ihren Namen einem KGB-Offizier, der ihm einschärfte, keinen Ton verlauten zu lassen. Mit Hilfe des Namens stand um die Mittagszeit ihre Identität fest, und der Vernehmungsbeamte, der nun den gesamten Fall übernommen hatte, erkannte entsetzt, daà Swetlana Wanejewa die Tochter eines ZK-Mitglieds war. Die Familie eines ZK-Mannes tastete man nicht leichtfertig an, aber die Frau war eindeutig identifiziert worden, und es handelte sich
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