Der Kartograph
einmal im Hause unseres Vaters getroffen. Er ist am Konvent von San Marco erzogen worden. Er kennt Amerigo Vespucci und Soderini aus dieser Zeit.»
Ihre Augen wurden groß. «Giorgio Antonio Vespucci war auch der Lehrer des Lothringers? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.»
«Du warst noch zu klein. Amerigos Onkel war nicht nur ein großer Förderer Botticellis, er hat uns zudem seine wunderbare Bibliothek vermacht. Außerdem hat dieser Dominikaner durch seine Schule auch Verbindungen unter den Edlen von Florenz und anderswo geschaffen, die mir heute von großem Nutzen sind. Ich bin ihm posthum zu großem Dank verpflichtet.
Wie auch immer, ich habe erfahren, dass der Herzog von Lothringen sich an die alte Jugendfreundschaft mit Amerigo erinnert und die Familie dringend gebeten hat, ihm die Originalfassung der Quatuor navigationes oder die Lettera zukommen zu lassen. Eine ähnliche Bitte hat er an Soderini gerichtet. Doch der hat die Navigationes ganz sicher nicht, und die Vespuccis werden den Teufel tun und irgendwelche Unterlagen nach Saint-Dié schicken. Dafür habe ich gesorgt. Von meinen Agenten in Soderinis Palast habe ich noch etwas gehört.» Er lachte glucksend. Die Angelegenheit bereitete ihm offenbar ein ganz besonderes Vergnügen.
Seine Schwester schaute ihn fragend an.
«Nun, dass unser aufrechter Bannerträger der Gerechtigkeit alles tut, um zu verhindern, dass unser Freund, der Herzog von Lothringen, und damit auch der Kreis der Forscher in SaintDié die Navigationes oder die Lettera in die Finger bekommt. Wie wir beide sehr gut wissen, sind die so genannten SoderiniBriefe eine ziemlich dreiste Fälschung des Gonfaloniere. Das kam uns damals sehr gelegen. Auf diese Weise wurden die Neugierigen gefüttert und wir konnten die wirklich wichtigen Geheimnisse bewahren.
Vielleicht können uns Soderinis Betrügereien jetzt noch einmal sehr nützlich sein. Wenn jemand in der Lage ist zu begreifen, dass die Lettera eine Fälschung sind, dann dieser Waldseemüller. Er wird es nicht für sich behalten. Und damit wäre unser so selbstgerechter Gonfaloniere der Lächerlichkeit preisgegeben. Meinst du nicht, liebstes Schwesterlein? Ist das nicht ein guter Grund, deinen Magister am Leben zu lassen?»
Sie nickte erleichtert. «Was hast du getan?»
«Es war eigentlich ganz einfach», erklärte er vergnügt. «Ich habe dem Herzog von Lothringen die Lettera im Namen Soderinis, aber selbstredend hinter dessen Rücken zukommen lassen. Natürlich mit der angeblich ‹dringenden Bitte› unseres Gonfaloniere, die Quelle unkenntlich zu machen. René II. hat ausrichten lassen, er werde den Namen Soderini durch seinen eigenen ersetzen. Ich denke, man kann dem Wort eines Sprosses aus dem Hause Anjou vertrauen.
Und wenn nicht, dann umso besser. Dann wird noch schneller offenkundig, dass es sich bei den Lettera in großen Teilen um plumpe Fälschungen handelt. Soderini hat die so genannten Quatuor navigationes niemals zu Gesicht bekommen. Ich übrigens auch nicht. Die Familie Vespucci sitzt darauf, Juan Vespucci prahlt damit, rückt sie aber nicht heraus. Ich konnte das Versteck, in dem sie liegen, bisher noch nicht ausfindig machen. Das wird mir aber auch noch gelingen.»
Giovanni de’ Medici war durchaus zufrieden mit sich. Und Contessina de’ Medici bewunderte wieder einmal – fast gegen ihren Willen –, wie ihr Bruder es verstand, seine Mitmenschen für seine eigenen Zwecke zu manipulieren. Diesmal zumindest war es für etwas gut: Magister Waldseemüller musste nicht sterben. Sie war glücklich darüber. Nicht nur, weil sie nicht für den Tod eines Menschen verantwortlich sein wollte. Sie hatte außerdem selbst keine rühmliche Rolle in dieser ganzen Angelegenheit gespielt. Sie hatte sich noch nicht einmal gescheut, diese unmögliche Marie Schott für ihre Zwecke einzuspannen. Normalerweise hätte sie eine Frau wie diese nicht mit der Feuerzange angefasst. Doch das Heimweh nach Florenz, die Hoffnung auf eine Rückkehr hatten alle ihre Skrupel überdeckt.
Außerdem mochte sie diesen etwas naiven Magister, dem offenbar gar nicht klar war, in was für ein Wespennest er an dem Tag gestochen hatte, als er beschloss, die gängigen Karten umzuschreiben, das Bild von der bekannten Welt zurechtzurücken. Sie war nach allem, was er gesagt hatte, davon überzeugt, dass die Waldseemüller-Seekarte den vierten Erdteil zeigen würde. Sie ahnte nicht, dass er inzwischen viel weitreichendere Pläne hatte.
Contessina betrachtete
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