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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Gefühle. Die Sonne kam fahl zwischen den Wolken hervor. Sie schien ihm ins Gesicht, die Vögel zwitscherten in den inzwischen kahlen Bäumen, als wollten sie die lichten Tage ein letztes Mal verabschieden. In seinem Inneren hatte sich eine dunkle Stelle ausgebreitet, ein Loch, das alle Freude, alles Leben, alle Liebe unaufhörlich in sich hineinsog und nur dumpfe Gleichgültigkeit übrig ließ.
«Es ist gut», meinte er schließlich leise. «Ich meine, gut, dass du zu mir gekommen bist. Ich kann nicht sagen, dass es nicht schmerzt. Aber es ist geschehen.»
«Marie Grüninger ist es nicht wert, dass unsere Freundschaft ihretwegen zerbricht», antwortete Philesius leise.
«Nein, sie ist es nicht wert», stimmte Ilacomylus zu.
«Sind wir noch Freunde?»
Martin Waldseemüller nickte stumm.
«Dann lass uns jetzt gemeinsam an die Arbeit gehen. Ich muss unbedingt mit dir über die Introductio sprechen. Hast du die Lettera schon gelesen?»
«Ich bin bald soweit. Morgen. Lass uns morgen mit der gemeinsamen Arbeit beginnen.»
Obwohl beide Männer sich bemühten, es wurde zwischen ihnen niemals wieder wie zuvor. Die Unbekümmertheit ihrer Freundschaft war verloren gegangen.
    Philesius kam früh am nächsten Tag in Waldseemüllers Kammer. Er war der Einzige, der dort hinein durfte, und der Einzige, der außer den beiden Luds noch in die Änderung der Pläne eingeweiht war. Es hatte ihn überrascht, aber auch er war von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugt, schnell und überraschend zu agieren und statt des großes Atlasses als Erstes gleich ein dreifaches Werk der neuen Druckerei in Saint-Dié auf den Markt zu bringen: eine veritable Weltkarte, die zwölf Globensegmente, geschaffen von Martin Waldseemüller, sowie eine Introductio, verfasst von ihm selbst. Die Lettera würden Bestandteil dieser Einführung sein. Vespuccis eigene Worte sollten belegen, dass die These vom vierten Erdteil kein Hirngespinst war.
    Aus Ringmanns Augen sprühte die Begeisterung, als Martin Waldseemüller ihm öffnete. «Hier, ich muss dir etwas vorlesen. Ich habe mich bereits an die Arbeit gemacht und mit der Introductio begonnen.»
    «Komm herein und setz dich.»
«Ich kann mich nicht setzen. Es ist, als hätte ich diese neue Welt selbst entdeckt, ich kann einfach nicht ruhig an einem Ort sitzen.»
Martin Waldseemüller zwinkerte dem Mann zu, den er für seinen Freund gehalten hatte und von dem er immer noch wünschte, er wäre es. «Wenn man alles mit Fleiß erwägt, wird man erkennen, dass die Ländereien, so mich die Vorsehung auf dieser Fahrt und auf den Fahrten finden ließ, welche ich vorher unternahm, fruchtbarere und besser bevölkert sind als Europa, Afrika und Asia und in der Tat einen anderen Teil der Erde ausmachen, welchem gebührt, eine neue Welt genannt zu werden», zitierte er mit einem Lächeln, das er sich angesichts der leuchtenden Augen von Philesius nicht versagen konnte. Er erinnerte sich so gut an die Aufregung, als er diesen Satz Vespuccis zum ersten Mal gelesen hatte, der aus den Beschreibungen der Reise von 1501/1502 stammte. Einen der Sätze des florentinischen Seefahrers, die sein Bild von der Welt für immer verändert hatten.
«Ganz genau. So ist es. Also, hör zu und sag, ob du mir zustimmst. Das ist die wichtigste Stelle, deshalb habe ich damit begonnen. Sie wird einmal zum Kapitel IX der Introductio gehören. Ich dachte mir diesen Text in etwa so – falls du keine Einwände hast. Es geht an dieser Stelle um einige Anfangsgründe der Kosmographie. Es erscheint mir um der Klarheit willen wichtig, diese hier aufzuführen, aber auch, um die Bedeutung der neuen Erkenntnisse deutlich zu machen, an denen die Welt nach dem Erscheinen deiner Karte und der Globensegmente teilhaben wird.
    Es steht aufgrund astronomischer Beweise fest, dass die Erde im Verhältnis zum gesamten Himmelsraum nur einen Punkt darstellt, so dass man bei einem Vergleich des Umfangs der Erde mit der Größe des himmlischen Globus sagen muss, die Erde nehme geradezu überhaupt keinen Raum ein. Und von diesem so kleinen Punkt in der Welt ist freilich ungefähr der vierte Teil, nämlich der, welcher Ptolemäus bekannt war, von uns beseelten Geschöpfen bewohnt. Bisher ist dieses Gebiet in drei Teile eingeteilt worden. Europa, Afrika und Asien.
    Bist du soweit mit mir einig?»
    Zum ersten Mal seit der Ankunft in Saint-Dié lächelte Ilacomylus seinem Freund Philesius offen zu. «Selbst Gregor Reisch hätte es nicht schöner ausdrücken

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