Der Kartograph
ihren Bruder. Nein, Hornissennest war besser, der Magister hatte Hornissen aufgescheucht. Wespen waren zu ungefährlich.
Mitte Dezember 1506 kam Matthias Ringmann endlich nach Saint-Dié. Gauthier Lud hatte ihm bereits mehrmals geschrieben. Im letzten Brief stand, dass Jean Basin die Übersetzung der Lettera abgeschlossen hatte. Er müsse also schnellstens anreisen, zumal die officina libraria von Saint-Dié Fortschritte mache. Grüninger habe eine Druckerpresse entdeckt, die zum Verkauf stehe. Er hoffe, dass Ringmann diese gleich mitbringen werde. Zumal der Winter jeden Tag hereinbrechen und dafür sorgen könne, dass der Weg über die Vogesen versperrt war.
Da hatte Matthias Ringmann keine andere Wahl mehr. Marie Schott hatte ihm haarklein von ihrem Treffen mit Martin Waldseemüller berichtet. Sie schien keineswegs ein schlechtes Gewissen zu haben. Es war ihre letzte Begegnung gewesen. Sie hatte sich inzwischen einen anderen Liebhaber zugelegt, wenn er den Gerüchten Glauben schenken wollte, und war auch wieder schwanger.
Ringmann hatte zur Enttäuschung aller die Druckerpresse nicht im Gepäck. Es gab zwei Probleme. Die fragliche Presse, so berichtete er nach seiner Ankunft, arbeite nicht einwandfrei. Außerdem hatte der Herzog von Lothringen die erforderlichen Mittel noch nicht zur Verfügung gestellt. Gauthier Lud griff sofort in die eigene, im Übrigen recht ansehnlich gefüllte Schatulle und brachte die notwendige Summe Gold auf den Weg. Grüninger solle veranlassen, dass die Presse nach SaintDié geschafft werde, schrieb er dazu. Sie könne auch von den Fachleuten des Gymnasiums in Ordnung gebracht werden. In Saint-Nicolas-de-Port gebe es bereits eine Druckerei, der Pfarrer und Schriftsetzer Pierre Jacobi kenne sich aus, und auch Matthias Ringmann habe Erfahrungen in diesem Metier, wie Grüninger wisse.
Martin Waldseemüller gelang es drei Tage lang, das Alleinsein mit Matthias Ringmann zu vermeiden. Er wollte nicht mit ihm über Marie sprechen. Er konnte es nicht. Schließlich hielt Ringmann es nicht mehr aus. Er passte Martin Waldseemüller an einem seiner mittäglichen Spaziergänge entlang der Meurthe ab. Auch wenn er dabei immer wieder an den unseligen Besuch von Marie erinnert wurde, Waldseemüller brauchte diese kurzen Ausflüge, um den Kopf frei zu bekommen. Er war gerade auf dem Rückweg, um in seiner Kammer an den Plänen weiterzuarbeiten, da sah er, dass Philesius ihm entgegenkam. Er stockte für einen kurzen Moment im Schritt, ging aber dann entschlossen weiter. Die Aussprache ließ sich wohl nicht vermeiden.
«Es tut mir leid», eröffnete der Jüngere das Gespräch.
Martin Waldseemüller schwieg.
«Bitte, nun sag etwas.»
«Was soll ich denn sagen? Dass ich dachte, du bist mein Freund und nun hast du …»
«Bei der Frau gelegen, die du liebst, wolltest du wohl sagen. Ilacomylus, bitte, du musst mir glauben, ich hatte keine Ahnung.»
«Davon, dass ich sie liebte?», die Stimme von Martin Waldseemüller klang bitter.
«Nein, davon, dass du sie derart lieben würdest. Als mir das klar wurde, war es schon zu spät. Ich habe dich vor ihr gewarnt, erinnerst du dich? Und erinnerst du dich an eine Szene an dem Tag, als wir uns kennengelernt haben? Ich musste husten und zog ein Taschentuch hervor. Marie hat mich damals ziemlich kokett gefragt, wem es denn gehöre. Mir wurde heiß und kalt. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber hinterher hatte ich den Eindruck, dass jeder Mann und jede Frau im Raum wusste, dass es von ihr stammte.»
Martin Waldseemüller schüttelte den Kopf. «Nun, dann war ich wohl ziemlich dumm. Aber warum hast du es mir nicht später gesagt, als wir darüber sprachen?»
«Ich habe dich gewarnt, so gut ich konnte. Du wolltest wissen, ob ich sie liebe. Ich musste nein sagen. Weil ich sie nicht liebe. Marie war für mich – bitte entschuldige, mein Freund – nie mehr als eine sehr leidenschaftliche Gefährtin im Bett. Zwischen uns war immer klar, dass ich nicht der richtige Mann für sie bin. Meine Aussichten sind nicht gut genug.» Ringmann hustete. «Auch deshalb», sagte er dann mit einem traurigen Lächeln. «Ich habe die Schwindsucht. Das hast du sicher längst erraten, selbst wenn ich nicht darüber spreche. So nehme ich vom Leben, was es mir bietet in der kurzen Spanne, die mir bleibt.»
Sie gingen eine Weile nebeneinander her, Martin Waldseemüller schwieg noch immer. Er fühlte eine ungeheure Trauer. Um den Freund, um eine verlorene Liebe, um verschwendete
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