Der Kartograph
Laufbahn eines großen Mannes und seine eigene zu zerstören. Er war zum Lügner abgestempelt. Hatte er mit der Karte zu viel gezeigt, zu viel verraten? Waren die Rückschlüsse, die sie gezogen hatten, zu weit gegriffen, zu voreilig gewesen? Diese Gedanken peinigten ihn. Tag für Tag. Nacht für Nacht.
Er fand keine Entschuldigung für sich. Er war ein eitler Dummkopf gewesen, versessen auf den Ruhm. Er hatte letztlich nur das gelten lassen, was dazu taugte, seine Thesen so gut wie möglich zu untermauern. Er war in der Darstellung weiter gegangen, als er dies hätte tun dürfen. Er war nichts weiter als ein selbstgefälliger Narr, der sich auch noch eingeredet hatte, im Dienste der Wissenschaft zu handeln.
Martin Waldseemüller maß Gauthier Lud mit einem seltsamen Blick. Dann übergab er ihm stumm das Paket und schlurfte aus dem Zimmer. Er hinkte noch immer leicht, ein Relikt des letzten Mordanschlages auf ihn. Zum Thema Weltatlas sagte er nichts. Inzwischen schien es ihm sogar völlig gleichgültig zu sein, ob jemand versuchte, ihn zu ermorden oder nicht. Er hatte sich jedenfalls jede weitere Bewachung verbeten.
Während Gauthier Lud einen Brief an Matthias Ringmann schrieb und ihn dringend darum bat, sein Versprechen einzulösen und den Ptolemäus aus dem Griechischen ins Lateinische zu übersetzen, saß weit entfernt jemand anders über einem Schreiben an Martin Waldseemüller.
Contessina de’ Medici schaute aus dem Fenster auf die Felder, die sich wie ein Fächer vor dem Bauernhof ausbreiteten, in den die Familie Ridolfi nach dem Sturz der Medici als Machthaber von Florenz verbannt worden war. Sie hörte das Lachen ihrer Kinder, sah das Grün, nein, so viele verschiedene Grüns, hörte den Wind in den Ästen der Bäume, spürte den Luftzug, der durch das geöffnete Fenster kam und ihr sanft über die Wangen und durch die Haare strich. In diesem Moment liebte sie das Leben. Es erschien ihr für einige Augenblicke weniger ungerecht, weniger Kampf. Vielleicht war es aber auch die überstandene, schwere Krankheit, die es wieder kostbar machte. Es war einer der seltenen Momente des inneren Friedens in ihrem Leben.
Sie schaute hinunter auf die Zeilen, die sie verfasst hatte. Ja, so mochte es gehen. Selbst wenn ein Unbefugter das Schreiben in die Hände bekam, und das war in diesen Zeiten immer möglich, würde er nicht auf Anhieb erkennen, dass es von ihr stammte.
Ilacomylus, mein lieber Freund , las sie halblaut. Erlaubt, dass ich Euch so nenne. Denn das Unrecht, das man einem Menschen tut, verbindet wohl ebenso sehr wie die guten Taten, die man ihm zukommen lässt. Was meine Familie und mich anbetrifft, so war es eher Ersteres – und das hätte Euch beinahe das Leben gekostet. Doch nun ist alles vorbei, Ihr seid wieder sicher. Es gibt keine Pläne mehr, Euch gewaltsam vom Leben in den Tod zu befördern. Das ist es, was ich Euch vor allem mitteilen will. Außerdem habt Ihr zumindest eine Erklärung verdient. Ihr habt inzwischen wohl selbst erkannt, dass Ihr mit der Darstellung der neuen Welt auf Eurer Karte Geheimnisse zugänglich gemacht habt, die gewisse Leute und Geschäftemacher lieber für sich behalten wollten. Dafür waren sie bereit, alles zu tun, selbst, Euch zu töten. Doch Ihr seid den Anschlägen und den Versuchen, Euch zu diskreditieren, immer wieder glücklich entgangen.
Nun ist die Karte gedruckt, der Grund für all diese Frevel gegen Eure Ehre und Eure Unversehrtheit also hinfällig geworden. Mehr noch. Alle Welt spricht über den Kartographen von Saint-Dié und sein kolossales Werk, das nicht nur davon zeugt, dass Ihr ein hervorragender Gelehrter seid, sondern auch ein großer Künstler. Jeder, der es sich nur irgendwie leisten kann, will eine solche Karte haben, die Globensegmente sowie die Introductio Eures Freundes Matthias Ringmann. Ich kann die Raubkopien schon nicht mehr zählen, die inzwischen bei uns kursieren. Doch mit dem Original kann es keine aufnehmen, die ich sah. Ihr seid ein berühmter Mann, Ilacomylus. Auch das schützt Euch vor Menschen, die Euch übel mitspielen wollen.
Allerdings muss ich Euch sagen, dass an der Echtheit der Lettera gewisse Zweifel bestehen, auch wenn Piero Soderini, der Gonfaloniere von Florenz, jedem, der es hören will, immer wieder beredt versichert, sie enthielten nichts als Vespuccis eigene Worte. Dennoch ist meiner Kenntnis nach hier Vorsicht geboten. Ihr solltet bei späteren Veröffentlichungen diesbezüglich also wachsam sein. Insbesondere, was die
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