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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Pförtner sein Sprüchlein losgeworden war.
Er öffnete die Pforte und verneigte sich. «Kommt herein, es tut mir leid. Im Normalfall sind wir Gästen gegenüber nicht so abweisend», entschuldigte er sich. Sein Gesichtsausdruck sagte Marie Grüninger jedoch unmissverständlich, dass Nicolas Lud nicht beglückt war, sie zu sehen. Sie kannte ihre Macht über Männer und schlug den Schleier zurück.
«Verzeiht, dass ich die Ruhe von Saint-Dié störe», erklärte sie mit zitternder Stimme. Die grünen Augen schwammen in Tränen. Sie blickten groß zu Nicolas Lud auf. Und der konnte sich einer gewissen freundlichen Regung nicht erwehren. Diese Frau wirkte so schutzbedürftig, so verzweifelt. Er riss sich zusammen. «Ich sehe, Ihr seid in Trauer?»
Sie nickte. Eine einzelne Träne lief ihr die Wange hinunter. Erneut widerstand er dem Impuls, ihr tröstend zuzulächeln. Martin Waldseemüller hatte ihm in einer stillen Sunde die ganze Geschichte erzählt. Diese Frau war eine Sirene, die durchaus in der Lage war, einen Mann in den Wahnsinn zu treiben.
«Mein Gatte ist gestorben, jetzt stehe ich mit meinen beiden Kindern ganz alleine da», hauchte sie unter Tränen. «Doch darum bin ich nicht gekommen. Matthias Ringmann geht es sehr schlecht. Er hat hohes Fieber und hustet ununterbrochen. Es kann sein, dass er die Krankheit nicht übersteht. Und so kam ich, um seinen Freund Martin Waldseemüller zu ihm zu bringen.»
Der Schock war Nicolas Lud anzusehen. «Ihr glaubt, Ringmann liegt in Sterben?»
«Wir wissen es nicht», antwortete sie. Dann lächelte sie ihn unter Tränen an. «Aber wollen wir das Beste hoffen.»
Dieses Mal lächelte Nicolas Lud unwillkürlich zurück.
Martin Waldseemüller packte sofort einige seiner Habseligkeiten, als er die Nachricht hörte. Er verdrängte das mulmige Gefühl, das ihn bei dem Gedanken beschlich, wie lange er wieder neben ihr reiten würde. Die Erinnerung an das letzte Mal war noch zu gegenwärtig. Doch er sagte sich immer wieder, dass er über diese Liebe hinweg war. Sie hatte ihn zu sehr getäuscht, zu sehr belogen.
Marie Grüninger machte es ihm leicht. Sie war eine angenehme Reisegefährtin. Mit keinem Wort ging sie auf die letzte Begegnung ein. Sie war zurückhaltend, versuchte nicht mit einer einzigen Geste, ihn zu verführen. Sie sprach wenig, und wenn, dann nur Belangloses, benahm sich, wie es einer Frau geziemt, die gerade ihren Gatten verloren hatte. Ihre ältere Begleiterin war wohl dazu ausersehen, die Wächterin ihrer Tugend zu sein. Es gehörte sich nicht für eine Frau von Ehre, allein zu reisen. Marie Grüninger bezeichnete sie als ihre liebste Freundin. Sie hieß Amélie, wie Martin Waldseemüller erfuhr, und war eine entfernte Kusine von Madame Grüninger. Allerdings entsprach ihre Erscheinung eher einer vertrockneten Jungfer als diesem Namen, der ihn an ein junges, hübsches Mädchen erinnerte.
Dafür redete sie ununterbrochen. Es schien ihr gar nicht aufzufallen, dass ihre Freundin Marie und Martin Waldseemüller beharrlich schwiegen. Marie Grüninger saß blass auf ihrer zierlichen Stute und steuerte hin und wieder ein interessiertes «Ach» zur Unterhaltung bei. Das Schwarz des hoch geschlossenen Kleides machte sie noch schöner, die Blässe gab ihr jene gewisse Vornehmheit, die ihr früher gefehlt hatte. Trotz ihrer Trauerkleidung wirkte sie jedoch gegenüber ihrer Begleiterin frisch wie ein junger Frühlingstag.
Mit der Zeit irritierte es ihn, dass sie so gar nicht auf die Vergangenheit einging. Der gemeinsame Ritt brachte all die verführerischen Bilder wieder hoch. Marie, die nackte Venus im Mondlicht, schob sich vor die stille Frau im schwarzen Kleid. Sollte sie denn alles vergessen haben. Waren ihre Liebesschwüre wirklich nichts als Lügen gewesen? Konnte es nicht doch sein, dass das Schicksal sie verändert, dass sie dazugelernt hatte? Martin Waldseemüller ertappte sich dabei, dass er begann, genau das zu hoffen. Wer war er schon, dass er sich das Recht nahm, über andere zu richten.
Noch immer kannte er Marie Grüninger nicht. Genau damit hatte sie gerechnet. Es fiel ihr schwer, ihr impulsives Wesen im Zaum zu halten. Doch sie durfte ihn nicht erschrecken, musste seinen Jagdinstinkt wecken. Sie baute fest darauf, dass er sich ihr wieder nähern würde. Und sie stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass sie sich danach sehnte. Jetzt, wo sie so stumm neben ihm ritt, wo sie still sein musste, hatte sie Zeit, ihn zu beobachten, und sie begriff, dass er

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