Der Kartograph
er sich umgedreht und Martin Waldseemüller einfach stehen lassen.
Ihm brach der Schweiß aus. Was hatten sie sich nur dabei gedacht, den neuen Erdteil nach Amerigo Vespucci zu benennen! Sollten sie mit den Soderini-Briefen wirklich einer Fälschung aufgesessen sein? Das hätte Juan Vespucci ihm doch gesagt. Andererseits: Er hatte mit ihm niemals über diesen Punkt gesprochen. Sie waren sich so sicher gewesen. Nein, der Fugger musste sich irren.
Doch in einem hatte er Recht. Mit dem Namen America hatten sie die größten Mächte Europas brüskiert, Isabella von Kastilien und ihren Gatten Ferdinand von Aragón, die Herrscher von Spanien, sowie Manuel von Portugal. Wahrscheinlich hatten sie wirklich gehofft, diesem neuen Erdteil mit ihrem Stempel auch ihren Namen aufzudrücken. Und Vespucci selbst? Vespucci war bloßgestellt. Philesius und er hatten Vespucci bloßgestellt, egal, wie laut er auch gegen die Unterstellung protestierte, dass sie sich begegnet waren.
Er musste diesen Namen America wieder aus der Welt schaffen. Vielleicht konnte er ja einen Teil des Schadens wieder gutmachen, auch um den Preis seines eigenen Ansehens. Es würde so aussehen, als gestehe er einen Fehler ein. So, hat er sich also doch geirrt, ist einem Angeber aufgesessen, würden sie sagen und sich über ihn lustig machen. Trotzdem, das war er Vespucci schuldig. Und sich selbst. Niemals wieder. Niemals wieder würde er die Buchstaben A m e r i c a in einen Holzstock schnitzen. Die Menschen neigten glücklicherweise dazu, schnell zu vergessen. Dieser Gedanke tröstete ihn etwas und er konnte endlich einschlafen.
Er ahnte in diesem Moment noch nicht, dass es dafür schon längst zu spät war.
Auch andere fragten sich an diesem Tag, wem die Stimme des beharrlichen Inquisitors wohl gehört haben mochte. «Es war ein Spanier», behaupteten die einen. «Nein, ein Portugiese», erklärten die anderen. «Er kam aus Florenz», sagten die dritten. «Aus Genua», die vierten. Doch die Identität des Zwischenrufers wurde niemals geklärt.
14 .
Gauthier Lud war außer sich. «Es ist unglaublich, jetzt hat schon die dritte Druckerei angekündigt, auch aus ihrer Druckerpresse werde bald eine dieser revolutionären Weltkarten des Martin Waldseemüller auf den Markt kommen. Und wir können nichts dagegen tun. Es gibt niemanden, der unser Urheberrecht schützen kann, kein Gesetz, keinen Herrscher. Der Herzog schäumt. Das heißt, wir müssen uns schnellstens an den Ptolemäus machen.»
Auch sein Neffe Nicolas wirkte bedrückt. «Es gibt nichts Übleres für die Geschäfte der neuen Druckerei hier in Saint-Dié als diese Raubdrucke. Aber was sollen wir tun? Das Originalmanuskript des Ptolemäus aus Basel ist noch nicht eingetroffen, Ringmann ist nicht hier und Ilacomylus – irgend etwas stimmt nicht mit ihm. Seit Tagen schließt er sich in seiner Kammer ein und ist für niemanden mehr zu sprechen. Er macht sich dafür verantwortlich, dass Amerigo Vespucci nach Erscheinen der Karte offenbar Schwierigkeiten bekommen hat. Und das nur, weil er und Ringmann den neuen Kontinent America genannt haben? Das vermag ich nicht zu glauben. Er behauptet sogar, wir könnten mit den Soderini-Briefen einer Fälschung aufgesessen sein. Die Zweifel lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Dennoch, wir müssen handeln!»
«Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass der Herzog uns eine Fälschung zukommen lässt.» Gauthier Lud schüttelte den Kopf. «Dass die Lettera gefälscht sein sollen? Nein. Nein, das glaube ich erst, wenn es uns jemand beweist. Und das wird niemandem gelingen. Ilacomylus wird sich schon wieder beruhigen. Meines Wissens arbeitet er auch noch an einem neuen nautischen Instrument. Er nennt es Polimetrum. Genaueres weiß ich nicht. Mit seiner Hilfe sollen Seefahrer aber leichter in der Lage sein, die Position eines Schiffes nicht nur anhand der Breite, sondern auch mit den Längengraden zu bestimmen. Eine faszinierende Angelegenheit. Ich hoffe, dass er mir bald erklärt, worum es sich handelt. Außerdem hast du Recht, Nicolas, wir müssen diesen Raubdrucken etwas entgegensetzen und sollten uns wirklich so schnell wie möglich an die Arbeit für unseren geplanten Atlas machen.»
Martin Waldseemüller betrat den Raum. Er hatte die letzten Sätze von Gauthier Lud gehört. Onkel und Neffe erschraken, als sie sahen, wie blass und übernächtigt er aussah. Wie ein Mann, an dem ein innerer Kummer nagte, der langsam seine Seele auffraß. Doch keiner machte eine Bemerkung
Weitere Kostenlose Bücher