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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Benennung der Territorien jenseits des Atlantiks betrifft. Man könnte Euch sonst bezichtigen, hier einen schweren Fehler begangen zu haben, ob wissentlich oder nicht spielt für die Menschen keine Rolle. Der Mann, der tot in Eurem Zimmer in Basel gefunden worden ist, war ein Agent. Die Leute eines gewissen S. hielten ihn versehentlich für Euch. Er war beauftragt, Euch auszuspionieren. Die Auftraggeber sind mir bekannt. Mehr darf ich Euch dazu nicht mitteilen. Auch mir war eine Rolle in diesem üblen Spiel zugeteilt, das habt Ihr Euch wohl schon gedacht. Obwohl ich es nicht ganz freiwillig tat, schäme ich mich zutiefst dafür, das wollte ich Euch ebenfalls sagen. Und noch etwas: Die freundlichen Gefühle, die ich Euch gegenüber zur Schau gestellt habe, mochten anfänglich vielleicht noch geheuchelt gewesen sein. Je mehr ich Euch kennenlernte, umso mehr wuchs meine Achtung vor Euch, Eurem unbeugsamen und unbestechlichen Geist, Eurer Geradlinigkeit und Eurer menschlichen Wärme.
Wir werden uns nicht wiedersehen, doch ich werde Euch niemals vergessen. Ohne es zu wissen, habt Ihr mir viel geschenkt.
Ich soll Euch noch Grüße ausrichten. Der Mann, dessen Neffen Ihr kennt, hat sich mir anvertraut. Er ist Euch nicht gram, obwohl ihm immer wieder Erklärungen abverlangt werden, die er nicht geben kann. Er hat Eure Karte gesehen und hält sie ebenfalls für ein wunderbares Werk. Er weiß, dass Ihr fälschlich beschuldigt werdet, ein Lügner zu sein.
Ich hoffe, Ihr seid in Eurem Großmut irgendwann in der Lage, mir – nein, uns – zu verzeihen.
Eure C.
Postscriptum: Bitte vernichtet dieses Schreiben, wenn Ihr es gelesen habt.
    Er hatte so etwas geahnt, es sich in seiner Überheblichkeit aber nicht eingestehen wollen. Also doch! Die Lettera möglicherweise in Teilen eine Fälschung! Das wog schwerer als alle Anschläge auf ihn, wie ihm beim Lesen schlagartig klar wurde. Nun war es endgültig. Er konnte den Namen America nie mehr verwenden. Aufgrund der Fälschungen, vor allem aber, um Vespucci zu schützen. Dieser stritt offensichtlich ebenso vergeblich ab wie er selbst, dass sie sich jemals getroffen hatten, und musste sich nun auch noch gegen eine Fälschung behaupten. Der berühmte Kartograph von Saint-Dié – es war nichts als ein schlechter Witz.
    Die Litanei der Selbstvorwürfe begann erneut, sich im Kreis zu drehen. Er war zu weit vorgeprescht, hatte zu viel gewagt. Und wenn Vespucci ihm verzieh, dann bewies das nur die innere Größe dieses Mannes, den er mit seiner Unbedachtsamkeit ins Unglück gestürzt hatte.
    Er wünschte sich, er hätte diese Karte niemals geschaffen, wünschte, er könnte in das nächste Mauseloch kriechen. Er hatte sich zu sehr nach Ruhm und Ehre gesehnt, gehofft, ein Kapitän würde ihn in diese neue Welt mitnehmen. Nun, Ruhm hatte er geerntet. Doch der Erfolg schmeckte gallebitter.
    Martin Waldseemüller warf den Brief in die Glut im Kamin. Er beobachtete, wie das Papier Feuer fing, sah die glühenden Zungen daran lecken, sah, wie es schwarz wurde und auseinander fiel. Es war wie ein Ritual der Reinigung.
    Für einen Moment wünschte er sich, er wäre wie dieses Stück Papier – verbrannt, ausgelöscht, nur noch eine dünne Rauchfahne, die durch den Kamin nach oben stieg und im Wind verwehte, bis nichts mehr von ihr übrig war. Er würde Saint-Dié verlassen, zumindest für eine Weile. Er musste allein sein, musste nachdenken. Und zum ersten Mal seit langer Zeit suchte er auch wieder das Gespräch mit seinem Gott.
    An einem sonnigen Tag Ende Mai, der fast schon sommerlich warm war, hallten wieder die Hufschläge einiger Pferde zwischen den Häusern von Saint-Dié. Die dreiköpfige Gruppe bewegte sich über die Hauptstraße bis vor die große Mauer vor der Kathedrale.
    Inzwischen schaute sich niemand mehr nach Unbekannten um. Seit diese Karte, die Introdcuctio und die Globensegmente erschienen waren, kamen ständig Besucher in das Tal von Galilée. Jeder wollte eine solche Karte haben, jeder wollte mit dem Kartographen Martin Waldseemüller und dem Dichter Matthias Ringmann sprechen. Doch Ringmann war schon längst wieder in Straßburg. Und Ilacomylus empfing niemanden, lehnte alle Bitten und Gespräche kategorisch ab. Er arbeite an seinem nächsten großen Werk, hieß es. Gauthier Lud verzweifelte fast an dieser Sturheit. Angesichts dieser endlosen Reihe enttäuschter Gesichter fiel ihm keine Ausrede mehr ein. Er war fast schon ein wenig zornig auf Martin Waldseemüller, der sich

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