Der Kartograph
– Marie Grüninger hat gesagt …»
Ringmanns Gesicht verschloss sich. «Ich konnte sie nicht aufhalten.»
Martin Waldseemüller lachte – zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich unbeschwert. «Das macht nichts. Jetzt bin ich hier. Und unglaublich froh, dich zu sehen. Obwohl wir eine Menge Unangenehmes zu besprechen haben. Hast du es auch schon gehört – die Lettera sollen eine Fälschung sein? Kolumbus gilt manchen plötzlich als der Entdecker Americas. Glaubst du, wir wurden absichtlich hinters Licht geführt? Vielleicht haben wir aber auch die Lettera einfach falsch verstanden, sind zu voreilig davon ausgegangen, dass Amerigo Vespucci diese neue Welt entdeckt hat.»
«Nie und nimmer. Wer das behauptet, ist ein Lügner. Ebenso wie jeder, der sagt, du hättest Vespucci getroffen. Mach dich nicht verrückt. Das sind alles nur Neider. Außerdem, wen interessiert das schon! In 100 Jahren ist das längst vergessen, aber deine Karte hat Bestand. Und jetzt mal ehrlich, ich bin jedenfalls nach wie vor dieser Meinung: Egal, ob Vespucci diese neue Welt nun als erster Mensch der alten Welt gefunden hat oder nicht, er war auf jeden Fall der Erste, der erkannt hat, dass es ein neuer Erdteil ist. Da war doch dieser junge Florentiner, der dich besucht hat – schon gut, ich weiß, du wirst dazu nichts sagen. Aber weißt du, was ich glaube? Nur dadurch, dass wir uns entschieden haben, diese neue Welt America zu nennen, hatte Vespucci den Mut, sich offen dazu zu bekennen, dass er einen neuen Kontinent erkundet hat. Zudem ist es gar nicht deine Verantwortung. Der Vorschlag kam von mir.»
«Wir haben in dieser Sache zusammengearbeitet. Also ist es sehr wohl unser beider Sache.»
Philesius schaute den Freund nachdenklich an. «Du wirkst ganz zufrieden, Martin, trotz all deiner Bedenken. Dabei habe ich aus Saint-Dié ganz anderes gehört. Es hieß, du seist in tiefste Melancholie verfallen, nur noch ein Schatten deiner selbst.»
«Marie Grüninger ist Schuld daran.»
«Du willst doch nicht sagen …?»
«Nein, beruhige dich. Sie hat keine Macht mehr über mich. In derselben Sekunde, in der ich dies erkannte, war mir klar, dass ich nicht nur eine Vergangenheit mit schmerzlichen Erlebnissen habe, sondern dass auch noch eine Zukunft auf mich wartet. Eine, in der ich Fehler wieder gutmachen oder zumindest daraus lernen kann. Ich hatte das vergessen, wurde fast erdrückt von einem Gebirge von Selbstzweifeln. Ja, du hast Recht. Ich kann wieder durchatmen. Außerdem habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde ans Meer gehen. Mehr noch, ich werde über das Meer gen Westen segeln, wenn ich irgendwie kann. Und ich werde mit Vespucci sprechen, ihn fragen, was es mit seinen Entdeckungen auf sich hat. Selbst, wenn ich ihn bis ans Ende der neuen Welt verfolgen müsste.
Doch vorher muss ich noch einmal zurück in die Vergangenheit, nach Freiburg, reinen Tisch machen, wenn man das so nennen kann. Ich will das Haus meiner Eltern besuchen. Ich habe an Gregor Reisch geschrieben, er hat mir in der Kartause bei Freiburg eine Bleibe angeboten. Dort kann ich meditieren, nachdenken, mich mit der Vergangenheit beschäftigen und mir überlegen, wie meine Zukunft aussehen wird. Es gibt keinen Mann, der mir dabei so sehr helfen könnte wie mein alter Freund und Mentor Gregor Reisch.»
Matthias Ringmann konnte sehr gut verstehen, was Martin Waldseemüller nach Freiburg zog. Der Sohn des «Judenküng» musste zu seinen Wurzeln zurückkehren, um frei für das Morgen zu sein. «Ilacomylus, ich bin so froh, dich wieder zu haben, mein Freund», erklärte er. «Komm, lass uns in die Stube gehen, die Grüningers warten schon. Sie freuen sich auf dich.»
Martin Waldseemüller blieb nur einen Tag, sehr zum Leidwesen Grüningers, der gerne mit ihm einige Projekte besprochen hätte, die ihm nach Erscheinen der Weltkarte so durch den Kopf gegangen waren. Doch Martin Waldseemüller zog es in die Kartause. Sie lag oberhalb Freiburgs. Ritter Johannes Snewlin, der «mit den Stirnfalten», hatte den Kartäusern den Besitz im Dreisamtal auf «St. Johanns des Täufers Berg» beinahe 200 Jahre zuvor geschenkt. Die Kartause war ein Ort der Stille, der Kontemplation. Er erinnerte sich gut an die kleinen Häuser, in denen die Mönchszellen untergebracht waren. Jedes hatte einen Wohn- und Gebetsraum, einen Schlafraum, eine Werkstatt und einen kleinen Garten. Alle Zellen waren untereinander und mit der Kirche durch den Kreuzgang verbunden.
Südlich des Kreuzgangs lagen
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