Der Kartograph
der Mann war, den sie liebte. So gut sie eben lieben konnte. Marie Grüninger war keine Frau, die sich über sich selbst Illusionen machte, über Gefühle und über das Leben der Frauen schon gar nicht. Jedenfalls hatte es in ihrem Leben noch nie einen Mann gegeben, den sie so sehr haben wollte wie diesen. Bei ihm wäre sie sicher. In seine Liebe könnte sie sich hineinfallen lassen wie in ein weiches Bett.
Er sah gut aus mit seinem kantigen Kinn, den melancholischen braunen Augen und dem halblangen lockigen Haar, das ihm bis auf den Hemdkragen fiel. Er war nicht groß, hatte aber breite Schultern und schmale Hüften, nicht die widerliche Wampe, die viele seiner Altersgenossen sich angefressen hatten. Er war wirklich ein gut aussehender Mann, und ein berühmter noch dazu. Wenn er wollte, würden ihm Könige zu Füßen liegen. Der Mann, der America als erster gezeichnet hatte, wäre an jedem Fürstenhof willkommen. America. Es klang schön. Ohne es zu wollen, hatte sie den Namen laut ausgesprochen. Amélie unterbrach ihren Monolog und schaute sie an. «Du hörst überhaupt nicht zu», beklagte sie sich.
«Doch, doch», versicherte Marie Grüninger eiligst und gab sich erneut interessiert. Innerlich war sie zutiefst erschrocken darüber, was dieses eine Wort in Martin Waldseemüller ausgelöst hatte. Sein Gesicht war plötzlich hart und verschlossen geworden. «Ich wollte nicht», begann sie zu sprechen. Doch die Verachtung und der Schmerz, den sie plötzlich in seinen Augen sah, brachten sie zum Verstummen.
Als sie in Straßburg angekommen waren, zog er nur kurz den Hut und schickte sich an, zu Matthias Ringmann zu eilen. Da konnte sie nicht anders, jetzt musste sie handeln. Sie hielt ihn zurück.
«Martin, ich wollte – es tut mir leid. Ich weiß, es war nicht recht.
Aber ich liebte dich doch so. Matthias Ringmann ist nicht ganz so krank wie ich sagte. Doch, doch, er ist schon krank – und er wollte dich so gerne sehen, konnte aber nicht selbst reisen. Da dachte ich, ich bringe dich her. Und vielleicht …»
Er schaute sie schweigend an, diese Frau, die er so sehr geliebt, so sehr begehrt hatte. So lange, dass er sich an nichts anderes mehr erinnern konnte. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er hatte keine Worte, um zu beschreiben, wie tief ihre Lügen ihn damals getroffen hatten. Er sah in diese grünen Augen, in denen jetzt neben dem bittenden Blick die blanke Verführung stand. Sie hatte sich nicht geändert. Das machte ihn traurig. Da war kein Hass mehr, kein Schmerz, nur Trauer. Sie hatte so viele Gaben. Was hätte aus dieser Frau werden können, was aus ihm und ihr! Wäre sie anders geworden, weniger oberflächlich, weniger egozentrisch.
«Könnten wir nicht?», begann sie und brach den begonnenen Satz erneut ab, als sie seinen Blick sah.
«Nein, meine Liebe, wir können auch keine Freunde sein», antwortete er sanft und begriff plötzlich zu seiner eigenen Überraschung: Er war frei. Frei, wieder nach vorne schauen. Zum ersten Mal seit langem konnte er wieder tief durchatmen.
Er lächelte ihr zu und wandte sich ab: der Zukunft entgegen. Er würde Philesius besuchen, bei ihm bleiben, bis er wieder gesund war. Und dann? Vielleicht gab es ja doch noch eine Möglichkeit für ihn, das Meer zu sehen. Das gewaltige Wasser, von dem er schon so lange geträumt hatte. Vielleicht sollte er sich an die Arbeit machen, eine Seekarte …
In diesem Moment beschloss er, nach Spanien zu reisen. Vespucci sollte sich gerade dort aufhalten. Er würde am Atlantik stehen, das Rauschen der Wellen hören und mit allen seinen Sinnen dieser neuen Welt im Westen des Ozeans nachspüren. Der Welt, die er von seiner Karte her kannte. Er wollte, er musste den großen Seefahrer treffen, vielleicht könnten sie zusammen an Bord gehen. Die Bilder seiner Träume überschlugen sich in seinem Kopf. Er sah sich schon an der Reling einer Karavelle stehen, hörte das Knattern der Segel und spürte die Gischt der Bugwelle, die ihm der Wind ins Gesicht blies.
In Gedanken verloren betrat er das Haus Grüningers. Der erste Mensch, auf den er dort traf, war Philesius. Er lief ihm praktisch in die Arme. Ein gut gelaunter Matthias Ringmann, der zwar noch hagerer geworden war, doch ansonsten keine Anzeichen einer tödlichen Krankheit aufwies.
«Ich dachte, du bist halb tot», entfuhr es ihm.
«Und während du das sagst, strahlst du wie ein Honigkuchenpferd, Ilacomylus, das gibt mir schon zu denken», erwiderte Ringmann lachend.
«Oh, ich dachte nur
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