Der Kartograph
die Klosterkirche, das Konventsgebäude, das Gästehospiz und die Wirtschaftsgebäude. Hier konnte er für sich sein, umgeben von wunderbaren Kunstschätzen. Die Freiburger Kartause hatte ihre eigene Magie wie alle Gründungen des Kartäuserordens, egal ob in Basel, die Grande Chartreuse bei Grenoble, Champmol bei Dijon, San Martino bei Neapel, die Kartausen von Bologna, Pisa – und Florenz. In der letzteren würde er um Herberge bitten, wenn er die Familie Vespucci besuchte.
Gregor Reisch empfing ihn herzlich, für seine Verhältnisse schon fast überschwänglich. «Es tut gut, Euch wieder zu sehen. Alle Welt spricht von der Introductio, den Globensegmenten und der America-Karte. Doch Ihr wirkt erschöpft. Bei uns könnt Ihr Euren Geist ausruhen. Der Mensch braucht solche Stunden, in denen er zu Gott und dadurch zu sich selbst zurückfindet. Hier habt Ihr die Ruhe, die dazu notwendig ist.»
«Ich danke Euch von Herzen, dass ich kommen durfte. Es gibt so vieles, was ich mit Euch besprechen möchte. Könntet Ihr mir die Beichte abnehmen? Denn ich habe gefehlt. In meinem Herzen haben sich Zweifel und Ängste eingenistet, mit denen ich alleine nicht zurechtkomme.»
«Nichts lieber als das. Ihr wisst, dass Ihr in der Freiburger Kartause jederzeit willkommen seid. Doch jetzt lasst mich Euch zu Eurer Zelle bringen. Ihr werdet sehen, sie ist neu, steht noch leer, als wäre sie extra für Euch gemacht.» Gregor Reisch erwähnte mit keinem Wort, dass er die Einnahmen aus der Margarita philosophica zum großen Teil dafür verwendete, die Freiburger Kartause nach dem Basler Muster aus- und umzubauen. Martin Waldseemüller erfuhr erst sehr viel später, dass Glasfenster in Auftrag gegeben werden sollten. Die Skizzen stammten von Hans Baldung Grien. Die Werkstatt war auch schon gefunden. Der Freiburger Glasmaler Hans Ropstein würde die Arbeiten ausführen, derselbe, der auch den Auftrag für die Fensterarbeiten am wieder aufgenommenen Chor-Umbau des Freiburger Münsters übernommen hatte.
Er tauchte in die unnachahmliche Atmosphäre der Kartause ein wie in ein heilsames Bad. Da waren auf der einen Seite die Schönheit und künstlerische Vielfalt der Bauten, insbesondere des Kreuzgangs und des Refektoriums. Auf der anderen eine Ruhe, die sich wie Balsam auf Martin Waldseemüllers aufgewühlte Seele legte. Sie ergab sich aus der Art des Zusammenlebens der Kartäusermönche. Die Verfassung des Ordens beinhaltete eine Mischung aus Eremiten- und Gemeinschaftsleben auf der Grundlage von drei wesentlichen Ordensvorschriften: Einsamkeit, Schweigen und Visitation. Die Kartause war aber nicht nur ein Hort der Kunst. Kunst, geschaffen zu Ehren des Allmächtigen. Sie war auch ein Hort der Wissenschaften mit großer Anziehungskraft auf bedeutende Gelehrte. Das machte sie für Martin Waldseemüller zu einem besonderen Ort, einem Ort, der Seele und Geist wohltat.
Gregor Reisch ließ den schweigsamen Gast des Klosters in Ruhe. Er wusste, wenn Martin Waldseemüller soweit war, würde er zu ihm kommen.
Die Gelegenheit ergab sich eines Morgens kurz vor Anbruch der Dämmerung. Martin Waldseemüller hatte sich nach dem Gebet erneut zu einer seiner stundenlangen Wanderungen durch den Kreuzgang aufgemacht. Hier traf er Gregor Reisch. Wie auf Verabredung gingen die beiden Männer nebeneinander her. Auch an Reisch waren die Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Doch die wachen Augen, die gebogene große Nase, der massige Hals, die zu seinen äußerlichen Eigenheiten gehörten, wirkten vertraut. Der Prior der Freiburger Kartäuser trug das Habit eines einfachen Mönchs, die spitze Kapuze, die typisch für diesen Orden war, hing den Rücken hinab.
«Meint Ihr, es gibt so etwas wie einen Fluch, etwas wie einen schlechten Stern?», eröffnete Martin Waldseemüller das Gespräch.
«Wie kommt Ihr darauf?»
«Ihr habt von den Kritiken an meiner America-Karte gehört? Seltsamerweise betreffen sie nicht den vierten Erdteil, der darauf zu sehen ist, sondern die Frage, wer ihn denn nun entdeckt hat und woher das Wissen stammt, das die Grundlage für die Karte bildet. Manchmal frage ich mich, warum so vieles von dem, was ich mache, so unvollkommen ist.»
«Ich verstehe, was Ihr meint, Ilacomylus. Doch alleine die Form der Kritik zeigt ja, dass es Euren Kritikern nicht um das Wissen geht, sondern um Namen. Sie glauben, der Entdecker von Gottes Schöpfung ist wichtiger als die Schöpfung selbst. Dieser Erdteil, den Ihr zusammen mit Ringmann America getauft
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