Der Kartograph
willen, ein wenig vielleicht auch wegen des Ruhmes. Aber nur zum geringsten Teil, weil er erhoffte, damit ein Vermögen zu machen. Sie mochte ihn wirklich. Sie musste wenigstens versuchen, ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen, in der er schwebte. «Da habt Ihr wohl Recht. Die Medici haben Vespucci nicht ganz uneigennützig bei seinen Reisen unterstützt. Ein Handelshaus wie dieses ist auf sichere Routen für seine Schiffe angewiesen. Doch sie sind nicht die Einzigen. Seit die Reconquista abgeschlossen ist, die Muselmanen von der Iberischen Halbinsel vertrieben sind, geht die Jagd nach den Schätzen Indiens und den besten Plätzen an den Futtertrögen umso heftiger weiter. Spanien, Portugal, Venedig, Genua – sie alle, nicht nur Florenz und nicht nur die Medici, suchen ihren Vorteil, brauchen möglichst sichere Seewege und Stützpunkte auf diesem Weg nach Westen.»
Sie stockte, erinnerte sich plötzlich daran, dass ihr geliebter Vater, Lorenzo de’ Medici, 1492 gestorben war. Genau in jenem Jahr, als Kolumbus zu seiner ersten großen Reise aufgebrochen war. Jene Fahrt, die die Medici veranlasst hatte, zu handeln, einen eigenen Mann in den Wettlauf um unentdeckte Küsten zu schicken. Bis heute behauptete Christoph Kolumbus, den Seeweg nach Indien entdeckt zu haben. Nun, dank Vespucci wussten die Medici es besser.
Die Sehnsucht nach ihrem Vater überkam sie, nach der heilen, beschützten Welt, in der sie aufgewachsen war. Sie war diese Spielchen so müde.
Martin Waldseemüller sah in ihr nachdenkliches Gesicht und beschloss, die Frage zu wagen. «Warum seid Ihr denn so sicher, dass nur die Medici von Vespucci informiert worden sind? Erst fuhr er mit Hojeda auf spanischen Karavellen, dann unter portugiesischer Flagge. Meines Wissens hatte damals Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici die Geschäfte des Bankhauses der Medici längst an Gonzalo Berardi übergeben. Warum also sollte ausgerechnet die Medicifamilie über das ultimative, das eigentliche Wissen verfügen? Vespucci hat schließlich seine Reisen beschrieben, hat auch Piero Soderini, dem Gonfaloniere von Florenz, Briefe geschickt.»
Sie hob leicht eine Augenbraue und lächelte. «Habt Ihr schon vergessen, dass ich nur eine Frau bin. Woher soll ich wissen, was Vespucci denkt? Eines weiß ich aber. Auch ein Mann wie er, ein Nomade des Meeres, ein Getriebener, braucht einen Anker. Und wo lässt ein Mann sich am Ende nieder? Dort, wo er sein Leben beschließen will, dort, wo er sterben will. Vespuccis Heimat ist Florenz. In dieser Stadt lebt seine Familie. Und seine ersten Loyalitäten gehörten wie die seiner Familie den Medici. So etwas vergisst ein Mann von Ehre nicht, schon gar kein Geschäftsmann. Vergesst nicht, Amerigo Vespucci hat einst die Bücher der Medici geführt, ihre Geschäfte verwaltet. Er weiß, worum es geht, welcher unermessliche Preis am Ende dem Sieger dieses Wettlaufes winkt.» Sie machte eine Pause.
Martin Waldseemüller wollte etwas sagen, doch sie bedeutete ihm zu schweigen. «Spanien und Portugal haben die Welt bereits unter sich aufgeteilt», fuhr sie dann fort. «Umso wichtiger sind jetzt die genauen nautischen Daten für die besten Routen über den Atlantik. Es geht aber nicht nur um die Richtung alleine. Natürlich hat Vespucci darüber geschrieben. Doch Route ist nicht gleich Route, Wind ist nicht gleich Wind, Strömung nicht gleich Strömung. Wer die schnellste Strecke westwärts kennt, die genauen Positionen der besten Stützpunkte, hat einen unermesslichen Vorteil bei diesem Wettlauf, ebenso wie jeder Kapitän, der seine Route genau vorausberechnen kann. Die Medici werden sich also hüten, die Empfehlungen ihres einstigen Dieners Vespucci, seine Tabellen, seine Beobachtungen auf dem Weg in die neue Welt in allen Einzelheiten bekannt werden zu lassen und sich damit selbst diesen Vorteil zu nehmen. Ich glaube außerdem, dass jeder, der irgendwie an diese Daten gekommen ist und der versucht, sie zu veröffentlichen, möglicherweise nicht mehr sicher ist. Ach, wusstet Ihr eigentlich, dass Manuel II., der König von Portugal, es erst im letzten November unter Strafe für Leib und Leben untersagt hat, nautische Karten zu zeichnen, die die Meere und die Küsten jenseits des 7. südlichen Breitengrades zeigen?» Deutlicher konnte sie nicht werden.
Natürlich wusste er das. Martin Waldseemüller verstummte. Er hatte es geahnt. Was ihm in den letzten Wochen widerfahren war, musste etwas mit seinen Überlegungen zu tun haben, die Karte
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