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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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keine Aufschneiderei, sondern weit mehr als die verzeihliche Eitelkeit eines Mannes, der Unglaubliches geleistet hatte? Was, wenn Vespucci tatsächlich einen ganz neuen Weg gefunden hatte, Kurs und Position eines Schiffes genauer zu bestimmen als alle anderen vor ihm? Was, wenn er … Martin Waldseemüller stockte der Atem. Er wagte es kaum, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Die Schlussfolgerung war einfach zu fantastisch. Angenommen, Vespucci wäre gelungen, was alle anderen vor ihm schon so lange vergeblich versucht hatten. Konnte es sein, dass er imstande war, die Zeit exakter zu bestimmen, als es mit dem Stundenglas möglich war? Konnte es sein, dass dieser geniale Mann, der einstige Buchhalter der Medici, nicht nur in der Lage war, den Breitengrad der Position eines Schiffes genauer zu berechnen, sondern auch den Längengrad?
    Ja, das war es! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Er verstand selbst nicht mehr, wieso er nicht schon längst darauf gekommen war. Das wäre wahrhaftig eine Revolution für die gesamte christliche Seefahrt und würde viele Schiffe vor Irrfahrten retten, die schon manchen Seemann das Leben gekostet hatten. Ach, wenn er doch nur mit diesem Mann sprechen könnte, einmal nur! Vespucci bewahrte also vielleicht ein großes Geheimnis. Eines, auf das er so stolz war, dass er es am liebsten der ganzen Welt verkündet hätte. Doch er durfte nicht.
    Ja, das ergab einen Sinn. Es ging hier also um zwei Dinge. Die Welt sollte nicht erfahren, dass es einen vierten Erdteil gab. Und ebenso wenig, dass die Möglichkeit gefunden worden war, den Weg dorthin genau vorauszuberechnen. Jetzt verstand er. Deshalb die Anschläge auf ihn. Das waren durchaus Geheimnisse, für die ein Mensch sterben konnte.
    Ob Vespucci wirklich hinter den Anschlägen steckte? Martin Waldseemüller schüttelte den Kopf. Nein, nicht ein Mann wie er, ein Forscher, einer, der Wissen suchte. Einer wie er selbst. Er wusste schon jetzt, tief in seinem Innersten, dass er alle Warnungen in den Wind schlagen und weiter versuchen würde, mit dem Florentiner in Kontakt zu kommen. Selbst wenn es sein Leben kosten sollte, er konnte nicht anders. Erstaunlicherweise fühlte er nicht die geringste Angst.
    Er seufzte und las weiter.

    Ein anderer Satz, ein weiterer Hinweis, der ihm half, Vespuccis Fahrt nachzuvollziehen:
    «Wir sind itzo schon sechshundert Meilen an diesem Gestade hingefahren, und da es sich so weit erstreckt, dass man kein Ende davon sehen kann, so halte ich dafür, dass es kein Eiland ist, sondern es festes Land zu sein scheint.»
    Danach beschrieb er einen Fluss, fruchtbares Land und wie sie durch den « Wendezirkel des Winters kamen und noch siebzehn und einen halben Grad weiter. »
    «Na, mein Freund, seid Ihr wieder in Eure Berechnungen versunken? Ich dachte, unser Jean Grüninger hätte Euch mit genügend Arbeit eingedeckt, um auch einen Ochsen zum Schwitzen zu bringen. Und nun sitzt Ihr da in der Werkstatt, das Schnitzmesser müßig in der Hand, statt es eifrig zu gebrauchen, und träumt!»
    «Philesius! Welche Freude, Euch zu sehen! Ihr seid endlich zurück! Ich schulde Euch unendlichen Dank, dass Ihr mir diesen Auszug aus den Soderini-Briefen besorgen konntet. Und dass Ihr ihn geschickt habt. Sagt, wo ist der Rest? Ach ja – und habt Ihr das Manuskript der Werke von Mirandola in Florenz bekommen? Wart Ihr an der Platonischen Akademie des Marsilio Ficino, wo Pico della Mirandola einst lehrte? Wenn ich mich recht erinnere, haben die Medici den Aufbau dieser Akademie unterstützt! Und Vespucci – ach, ich rede zu viel!» Er sprang auf und umarmte den Freund begeistert. Durch den Mantel hindurch spürte er die Knochen dieses hageren Körpers, der ihm noch ausgezehrter erschien als vor der Reise; er hörte das Rasseln bei jedem Atemzug.
    Ringmann begann zu husten, worauf Martin Waldseemüller ihn sofort losließ. «Ihr habt Euch überanstrengt. Verzeiht, Ihr müsst müde sein. Wann seid Ihr denn eingetroffen?»
    Matthias Ringmann hielt sich ein Tuch vor den Mund, er keuchte. Doch der Anfall dauerte nur einen kurzen Moment. «Wenn Ihr mich aber auch drückt, als wolltet Ihr mir die Lunge aus dem Leib quetschen … Ja, ich habe das Manuskript Mirandolas bekommen.» Er hustete erneut.
    «Verzeiht, es war die Freude …»
«Das war ein Scherz, mein werter Ilacomylus. So gut müsstet Ihr mich eigentlich kennen, dass niemand es schafft, mir die Lunge aus dem Leib zu pressen.»
«Es sei denn, es sind acht, dann lauft Ihr Euch

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