Der Kartograph
dieser Welt neu zu zeichnen. Er schaute forschend zu ihr hinüber. Doch das Gesicht von Contessina de’ Medici blieb unverändert freundlich, wirkte völlig harmlos. Sie war trotz allem zu sehr eine Medici, um sich von ihren Vorlieben leiten zu lassen. Sie hatte für diesen Mann getan, was sie konnte. Das Wort Karte war in ihrem ganzen Gespräch niemals erwähnt worden. Sollte er sich dennoch daran machen, diese Seekarte zu zeichnen, von der Grüninger jedem, der es hören wollte, so begeistert erzählte, dann war das sein Todesurteil.
Doch sie hatte das Gefühl, dass er sich auch durch diese kaum verhüllte Warnung nicht würde davon abhalten lassen. Es war besser, sie brach die Unterhaltung jetzt ab, bevor sie sich durch ihre Sympathie für diesen Mann noch zu weiteren Äußerungen hinreißen ließ, die sie später vielleicht bedauern würde.
Wieder wurde Martin Waldseemüller durch diesen Stimmungsumschwung überrascht.
«Verzeiht, wenn ich Euch jetzt verabschiede, werter Ilacomylus. Aber ich habe noch Geschäfte zu besorgen, bei denen eine Frau allein sein sollte.» Sie warf ihm einen neckischen Blick zu, den er als aufgesetzt empfand. Diese Frau entstammte einer mächtigen Familie, war das Befehlen gewohnt, besaß Geist und Verstand. Doch kapriziös, nein, das war sie nicht. Er begriff sofort, dass sie nach einer höflichen Ausrede gesucht hatte, um ihn loszuwerden. Mehr würde er heute nicht von ihr erfahren. Er hatte die Warnung verstanden.
Erneut verneigte er sich höflich und küsste die schmale Hand, die sie ihm zum Abschied reichte. «Es war mir eine große Ehre, mit Euch plaudern zu dürfen, Signora de’ Simoni. Schon fast zu viel der Ehre für einen einfachen Mann wie mich. Bleibt Ihr noch länger in Straßburg?»
Sie verstand, dass er gegen alle Einsicht hoffte, sie würden sich wieder begegnen. Gab dieser Mann denn nie auf? Nein, er gab nie auf. Er würde für seine Träume durch die Hölle gehen, eher sterben als kapitulieren.
Sie schüttelte den Kopf. «Ich weiß es noch nicht genau, lieber Magister Waldseemüller. Doch wahrscheinlich werde ich in den nächsten Tagen abreisen.»
Es schien so zu sein. Er würde sie nicht wiedersehen.
Für alle Außenstehenden sah es so aus, als verabschiedeten sich gute Bekannte. Der Mann, der am Kamin des «Raben» gesessen hatte, beobachtete die Szene aufmerksam. Ebenso interessiert bemerkte er, dass sich zwei Männer an die Fersen Martin Waldseemüllers hefteten, als dieser den Münsterplatz in Richtung des Hauses von Grüninger entlangschlenderte.
Waldseemüller ging absichtlich langsam. Er musste erst eine Zeit lang über dieses Gespräch nachdenken, das alle seine Hoffnungen zerstört hatte. Eines war jetzt mehr als klar. Von den Medici und damit auch ganz sicher von Amerigo Vespucci selbst hatte er keine Unterstützung zu erwarten. Wenn alles nichts mehr half, so hatte er immer wieder geträumt, dann würde er einfach zu diesem berühmten Mann reisen, ihn stellen, ihn ausfragen. Das konnte er sich jetzt aus dem Kopf schlagen. Dabei wäre es gerade jetzt so wichtig gewesen. Sie hätten zusammenarbeiten können. Vespucci war nicht nur ein begnadeter Seefahrer und Mathematiker, sondern auch selbst ein guter Kartograph. Es hieß, er habe seine Entdeckungen in einer Karte festgehalten. Aber falls es eine solche Karte gab, dann würde er sie bestimmt nicht zu Gesicht bekommen, kein Außenstehender würde sie sehen können. Die Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen.
Er riss sich zusammen. Er hatte immer gewusst, dass es nicht leicht werden würde. Noch gab es da ja Piero Soderini, den florentinischen Gonfaloniere, den «Bannerträger der Gerechtigkeit». Vielleicht würde es Ringmann ja schaffen, mit ihm in Kontakt zu treten und Abschriften der Originale der Quatuor navigationes zu bekommen. Martin Waldseemüller drückte die Schultern durch. Nein, er würde nicht aufgeben. Seine Karte war die Hoffnung für viele, die der Not der alten Welt entrinnen, die ihr Glück in der neuen Welt suchen wollten. Er arbeitete auch für sie. Dieses Ziel behielt seine Gültigkeit. Dieser neue Erdteil, dieses unbekannte Paradies, war von Gott geschaffen, ebenso wie die ganze Erde. Und deshalb gehörte auch der Weg dorthin allen Menschen.
6.
Martin Waldseemüller las die Stelle immer und immer wieder. Worte, von denen er glaubte, dass sie aus der Feder von Amerigo Vespucci stammten, entscheidende Worte für seine Berechnungen. Vespucci hatte ursprünglich die Straße von
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