Der Kartograph
Medici, mit ihrer Freundlichkeit vor allen anderen aus. Hoffnung keimte in ihm. Ob er sie wohl auf die Briefe Vespuccis ansprechen durfte? Ob sie überhaupt etwas davon wusste? Sie war schließlich eine Frau. Frauen befassten sich gemeinhin nicht mit solchen Angelegenheiten.
Marie Grüninger beobachtete mit wachsender Eifersucht, wie Martin Waldseemüller und diese hochmütige Fremde zwanglos miteinander plauderten. Jetzt lachten sie sogar. Plötzlich erschien er ihr in einem anderen Licht. An einem Mann, der sogar die Aufmerksamkeit einer solchen Dame erregte, musste mehr sein, als sie bisher in ihm vermutet hatte.
Waldseemüller sah die Eifersucht in Maries grünen Augen, und er genoss die Situation in vollen Zügen. Endlich konnte er ein wenig von jenem Schmerz zurückgeben, den sie ihm zugefügt hatte.
Er bot seinen ganzen Charme auf. «Ihr seht mich verwirrt, Herrin. Ich bin bei weitem nicht der große Gelehrte, für den Ihr mich haltet.»
«Aber Ihr habt doch an der berühmten Universität Freiburg studiert, nicht wahr? Ihr kennt Gregor Reisch, Brant, Wimpfeling, alle die gelehrten Geister, die unsere Zeit so aufregend machen.»
Er hatte Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. «Ihr habt Euch über mich erkundigt?»
Sie lachte herzlich. «Nein, das war nicht nötig. Der Name des Humanisten, Theologen und Kartographen Martin Waldseemüller, dem Magister aus Freiburg, der gerade bei dem bekannten Drucker Jean Grüninger seine Kunst verfeinert, ist in Straßburg ein Begriff. Ich musste mich nur nach den klügsten Köpfen dieser Stadt erkundigen. Ilacomylus nennt Ihr Euch, nicht war?»
Martin Waldseemüller war nicht gerade glücklich darüber, für die Gesellschaft von Straßburg ein Begriff zu sein. Außerdem vermochte er auch nicht so recht daran zu glauben. Also wechselte er lieber das Thema. «Ich weiß, Ihr kennt viele der großen Künstler unserer Zeit, Menschen wie Michelangelo Buonarotti. Wie ist er, was ist er für ein Charakter? Bitte, erzählt mir von ihm. Ich verehre ihn und seine Werke zutiefst. Dieser Mann ist ein Genie, sein David von unglaublicher Schönheit.» Er brauchte die Begeisterung nicht vorzutäuschen.
Sie lächelte ihn erneut an, ihre Wangen hatten sich leicht gerötet. Er ahnte warum. Es gab Gerüchte, dass diese Frau die große, die unerfüllte Liebe dieses überragenden Künstlers sein sollte. Sie kannte den Maler, den Bildhauer, den Dichter Michelangelo, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war.
Sie wurde lebhaft, die Erinnerung rötete ihre Wangen. «Und stellt Euch vor, er hat den David aus einem einzigen Marmorblock gehauen. Dazu noch aus einem, an dem ein anderer hervorragender Künstler, Agostino d’Antonio, rund vier Jahrzehnte zuvor gescheitert ist.» Ihre Augen leuchteten jetzt glücklich.
«Ich habe sagen hören, dass Michelangelo bei seiner Arbeit an der Skulptur niemanden zu sich gelassen hat. Er scheint völlig abgeschirmt gearbeitet zu haben.»
«Ja, das ist richtig. Es gab nur wenige Menschen, die zu ihm Zutritt hatten …»
Sie vollendete den Rest des Satzes nicht. Es war klar, dass sie zu jenen Wenigen gehört hatte.
«Lieber Freund, ich darf Euch doch so nennen, seid nicht böse, wenn ich mich jetzt ein wenig um meine anderen Gäste kümmere» – sie hielt es plötzlich in der Nähe dieses Mannes nicht mehr aus, der eine schon fast vergessene Saite in ihrem Inneren zum Klingen gebracht, der sogar die fröhlichen Tage in Florenz wieder zum Leben erweckt hatte. Und der zum Tode verurteilt war, falls er sich nicht kaufen ließ. Sie hoffte es und hoffte es gleichzeitig nicht, um keine Enttäuschung zu erleben. Sie mochte ihn wirklich. Er schien ein kluger Kopf zu sein, ein Mann, der sich noch etwas von der ungekünstelten Begeisterung und Offenheit des kleinen Jungen von einst bewahrt hatte. Mit der Hellsichtigkeit einer Frau, die selbst unglücklich war, spürte sie auch die Verletzlichkeit in ihm.
Martin Waldseemüller traf dieser Stimmungsumschwung überraschend. Er erhob sich jedoch sofort und verneigte sich tief. Contessina de’ Medici beeindruckte ihn.
Nie hätte er sich jedoch träumen lassen, was zwei Stunden später geschah, kurz bevor die Familie Grüninger sich anschickte, den Ball zu verlassen. Ein Bediensteter näherte sich ihm und drückte ihm verstohlen ein kleines Stück Papier in die Hand. Er wagte es erst in seiner Kammer im Hause Grüninger, einen Blick darauf zu werfen. «Kommt morgen Nachmittag in den ‹Raben›. Ich suche nach einem Begleiter
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