Der Kartograph
werdet.» Martin Waldseemüllers Miene ähnelte so sehr der eines schuldbewussten kleinen Jungen, dass Jean Pélerin in schallendes Gelächter ausbrach. Als sie den Speisesaal betraten, boten die beiden Männer ein Bild fröhlichen Einverständnisses. Gauthier Lud strahlte ihnen entgegen. «Da seid Ihr ja endlich», begrüßte er sie. Es freute ihn, zu sehen, dass Waldseemüller und Pélerin sich so gut verstanden. Er hatte aber eigentlich auch nichts anderes erwartet.
Alle langten herzhaft zu. Die Mahlzeit war zwar einfach, aber nahrhaft, auch wenn es der Jahreszeit gemäß nur eingelegte und gekochte Früchte gab. Martin Waldseemüller begriff außerdem, warum Matthias Ringmann das elsässische Sauerkraut so lobte. Es gab unzählige Rezepte, jeder Koch nahm für sich in Anspruch, das einzig richtige zu besitzen. In diesem Fall war es kräftig mit Speck angereichert und mit Wachholderbeeren versetzt. Dazu gab es eingesalzenes Fleisch, weiteren Speck, dampfende Blut- und Leberwürste im Tierdarm. Fladenbrot, eine Pastete und eine köstliche Brühe ergänzten das Mahl. In letzterer waren offensichtlich das Fleisch und die Würste erhitzt worden, denn es schwammen noch kleine Stücke von Würsten darin herum, bei denen der Darm offensichtlich geplatzt war. Martin Waldseemüller löffelte sie mit Behagen aus dem großen Topf in der Mitte des Tisches. Die Brühe wärmte wunderbar. Ein herber Weißwein von den Rebhängen des Kapitels im Tal von Galilée glitzerte im Schein des Feuers in den Gläsern.
Mit steigendem Weinkonsum wurden die Wangen röter, die Gespräche ausgelassener. Martin Waldseemüller schenkte sich ebenfalls nach. In seinem Kopf breitete sich eine angenehme Dämmrigkeit aus.
Er beobachtete die anderen Männer am Tisch. Einige hatte er schon ganz gut kennengelernt, andere weniger. Manche hatten sich zu Ehren Pélerins eingefunden. Da war zum Beispiel Didier de Bistrof, Probst der großen Kathedrale von Saint-Dié, ein Mann mit Bischofsrang. Er war einst der Erzieher des jetzigen Herzogs von Lothringen gewesen, und er hatte die strengen Gesichtszüge eines Menschen, der sich die Leidenschaften des Lebens unter größten Mühen fortgegeißelt hatte. Die tiefen Linien um die Mundwinkel und die dünnen Lippen kündeten von der Heftigkeit des Kampfes. Martin Waldseemüller hatte während seiner Zeit im Dienste des Bistums Konstanz schon mehrere dieser Tugendhaften gesehen, die dem Leid huldigten anstatt den Wundern des Lebens. Nun, er war nicht von diesem Schlag. Die Zeiten im Dienste der Diözese erschienen ihm in diesem angenehm schläfrigen Zustand ein ganzes Menschenleben lang her zu sein. Was hatte er noch über Bistrof gehört? Ach ja, er sollte den größten Teil der bekannten Werke des heiligen Jérôme auf Pergament kalligraphiert haben. Das passte. Bistrof trank kaum etwas und aß auch nichts.
Neben dem hageren Probst saß der korpulente Pierre Blarru, der zwar nur halb so groß wirkte wie sein Banknachbar, dafür aber doppelt so rund. Er scherte sich nicht um die Abstinenz Bistrofs und langte bei allem kräftig zu. Sein Kirschenmund glänzte fettig, seine Apfelbäckchen waren noch roter als sonst. Er strich immer wieder mit einem Tuch über die Stirn und seine runde Glatze. Augenscheinlich war ihm von Essen, Trinken und Plaudern heiß geworden. Martin Waldseemüller mochte ihn sehr. Und in diesem Moment konnte er sich durchaus vorstellen, wie der junge Blarru einst mit François Villon über die Sitten der Feinen und Reichen gespottet hatte.
An Blarrus Seite zappelte Henri Grand. Die Menschen in Saint-Dié kannten den einstigen Kämmerer des Herzogs von Lothringen als Maler der Minen von Saint Croix. Er hatte den Auftrag, ein Album mit Bildern über den Bergbau dort anzufertigen. Martin Waldseemüller hatte schon einige der ersten Entwürfe zu den einzelnen Arbeiten gesehen, die in Saint Croix zu bewerkstelligen waren. Er fand sie bemerkenswert. Umso bemerkenswerter, als die Hände Grands beständig zitterten. Doch sobald er einen Stift, eine Feder oder einen Pinsel in der Hand hielt, wurden sie ganz ruhig. So, als gewänne dann ein anderer die Kontrolle über diesen fähigen Mann, der nie zur Ruhe kam.
Jean Herbin, der Organist von Saint-Dié, schien sich offenbar nur über seine Orgel ausdrücken zu können – neben dem großen Chorgraduale, an dem er arbeitete, natürlich. Er war so klein und dünn, dass er beim Spielen hinter dem Manual seiner Orgel fast verschwand. Auf jeden Fall hatte er den
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