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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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ganzen Abend noch nichts gesagt. Dafür sprach Musikmeister Octavien Le Maires umso mehr. Er war der stolze Besitzer einer Sammlung von Manuskript-Kopien aus dem 15. Jahrhundert mit Abhandlungen von bekannten Männern wie Jean de Garlande und Jean de Muris. Er schwärmte jedem davon vor, der auch nur den leisesten Anschein erweckte, als würde er sich dafür interessieren. Und wenn er nicht davon erzählte, dann war das Graduale sein nicht enden wollendes Thema.
Nicolas Lud gab sich Mühe, höflich zu bleiben. Er hatte von all den Schwierigkeiten, die Le Maires schilderte, schon mehr als einmal gehört. Aber sein herzhaftes Gähnen verriet, dass er sich tödlich langweilte. Nicolas war ein Mann, mit dem es sich trefflich disputieren ließ. Wirklich trefflich. Ein kluger Kopf, dachte Martin Waldseemüller nicht zum ersten Mal und ergab sich willig dem trägen Strom seiner Gedanken.
Jean Tislin rettete den offensichtlich inzwischen ziemlich verzweifelten Nicolas und sprach ihn an. Seine Tage verbrachte Tislin selbstvergessen zwischen den Manuskripten mit Abschriften der Werke Ciceros. Doch wenn er dann abends, zumeist schniefend aufgrund des Staubes und mit zerzaustem Schopf, wieder aus der Vergangenheit auftauchte, war er ein sehr umgänglicher Gefährte mit einem Wissen, das weit über das Lesen des Cicero hinausging, und einem herzlichen Lachen.
Martin Waldseemüller hörte die Worte der Gespräche am Tisch wie durch einen Nebel, dumpf und unverständlich, obwohl der Verfasser mehrerer wissenschaftlicher Werke über Cicero fast neben ihm saß. Nur Jean Basin thronte zwischen ihnen. Er wandte den Kopf. Basin blickte ihn feindselig an. «Warum lehnt mich dieser Pfarrer so ab?», fragte er sich noch. Dann kippte er von der Bank.
Er erwachte von einigen kräftigen Klatschern aufs Gesicht und fand sich in seiner Schlafstatt im Haus von Gauthier Lud wieder. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie er dort hingekommen war. «Ihr solltet vielleicht nicht ganz so tüchtig dem Wein zusprechen, mein lieber Ilacomylus», flachste Nicolas Lud. «Übrigens, Viator lässt Euch grüßen. Er bedauert es sehr, dass es nicht mehr zum versprochenen Gespräch gekommen ist. Doch er konnte nicht mehr warten, bis Ihr aufwacht.»
«Wieso? Welche Tageszeit haben wir denn?»
«Oh, keine Tageszeit. Es ist bereits Abend.»
«Satin tu sanus es – das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Nun ist es zu spät, um mit meiner Arbeit an der Karte weiterzumachen.»
«Hadert nicht mit mir, Ilacomylus, sondern mit Euch selbst», erwiderte Nicolas Lud grinsend. «Nun, mir scheint, Ihr liegt nicht mehr im Koma, und ich kann Euch also beruhigt Euch selbst und der notwendigen Erholung überlassen.»
Martin Waldseemüller brauchte einige Zeit und viel kaltes Wasser, bis sein Kopf wieder klar war. Er beschloss, sich die Kartenskizzen noch einmal genau anzusehen, die er bisher entworfen hatte.
Doch er konnte sie nicht finden. Sie waren spurlos von ihrem Platz im Scriptorium verschwunden.
9.
    Es roch bereits nach Frühling, die Vögel zwitscherten, im Innenhof des Stiftes blühten Gänseblümchen und Buschwindröschen. Sie hatten sich auf Wunsch von Martin Waldseemüller dort getroffen. Doch keiner der drei Männer hatte einen Blick für die erwachende Natur. Gauthier Lud runzelte die Stirn. «Ihr seid wirklich ganz sicher, dass Ihr die Skizzen dort gelassen habt, Ilacomylus?»
    Martin Waldseemüller nickte. «Ich lasse sie immer dort, zusammengerollt, ein wenig versteckt neben dem Schemel. So ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, worum es geht.»
    «Habt Ihr denn Grund zu der Annahme, es könnte sich ein Unbefugter für Eure Arbeit interessieren?» Die Stimme Luds klang jetzt angespannt.
    Martin Waldseemüller nickte unglücklich. «Ja. Ich denke doch. Zumindest häufen sich die seltsamen Ereignisse, seit ich mich mit dem Thema Karte und der These eines vierten Kontinentes beschäftige.»
    «Und wie kommt Ihr darauf?»
    Wieder einmal erzählte Ilacomylus, was ihm in den letzten Monaten widerfahren war. «Das kann kein Zufall sein», beendete er seinen Bericht.
    «Das kann es wohl nicht», stimmte Gauthier Lud ihm zu. «Aber wie kommt Ihr darauf, dass es mit der Karte zu tun hat?»
    «Es begann einige Zeit, nachdem ich einen Brief an Amerigo Vespucci mit der Bitte um ein Treffen geschrieben hatte. Dieser Zusammenhang war auch mir lange nicht klar. Philesius hat mich darauf gebracht. Und nun bin ich mir ziemlich sicher. Denn

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