Der Kartograph
immer, wenn ich mich gerade an die Arbeit machen will, dann werden wichtige Unterlagen zerstört, jemand versucht mich zu ermorden oder ich gerate sonst auf irgendeine Weise derart in Schwierigkeiten, dass ich Gefahr laufe, meine Pläne nicht verwirklichen zu können. Manchmal denke ich, es klebt ein Stigma an mir, fest wie das Pech, ein Fluch – ach, ich weiß auch nicht. Immer, wenn ich glaube, ich bin in Sicherheit, immer, wenn ich hoffe, ich kann mich endlich ungestört meiner Arbeit widmen, dann geschieht so etwas. Nun sind die Skizzen verschwunden.»
«Habt Ihr einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte?»
Martin Waldseemüller schaute Gauthier Lud unglücklich an. Ja, den hatte er. Aber konnte er es auch sagen? Es betraf schließlich Luds guten Freund. Nein, lieber doch nicht. Es war nichts als ein Verdacht, dass Pélerin die Blätter an sich genommen haben könnte. Und er brauchte die Unterstützung Viators noch. Dieser musste sich unbedingt bei René von Lothringen dafür einsetzen, dass er seine Verbindungen zu den Vespuccis spielen ließ.
«Nein, keinen konkreten Verdacht. Aber da ist noch etwas anderes», antwortete er schließlich.
Gauthier Lud blickte ihn fragend an. «Ich glaube, mir hat jemand etwas in den Wein geschüttet, ein Schlafpulver oder jedenfalls etwas Ähnliches. Meiner Erinnerung nach habe ich mir höchstens einmal nachgeschenkt. Ich war also keineswegs so bezecht, wie Ihr anzunehmen scheint.»
Gauthier Lud wurde bleich. «Seid Ihr da sicher?» Martin Waldseemüller nickte.
Lud setzte sich neben seinen Neffen Nicolas auf die Bank, die schräg gegenüber der steinernen Predigtkanzel vor der Brüstung des Kreuzganges stand.
«Jetzt verstehe ich einiges», meldete sich Nicolas Lud zu Wort.
Die beiden anderen Männer schauten ihn erwartungsvoll an.
«Nun, ich meine», er zögerte etwas, so, als suche er nach den richtigen Worten. Dann brach es aus ihm heraus. «Ist das nicht seltsam, sagt selbst, Onkel. Erst scheint alle Welt begeistert zu sein von der Idee, in Saint-Dié eine officina libraria zu gründen. Und davon, dass das erste Werk der neuen Druckerei von Saint-Dié ein überarbeiteter Atlas des Ptolemäus ist. Unser Gönner, der Herzog von Lothringen, verspricht die nötigen Mittel und dass er seine Verbindungen nutzen will, damit wir schnell die zum Drucken notwendigen Gerätschaften finden. Er beauftragt sogar Pierre Jacobi, sich auf die Suche zu machen, und stattet ihn mit dem Nötigen aus.
Doch plötzlich scheint sich alles zum Schlechten zu wenden. Es begann mit Euch, Ilacomylus. Verzeiht, ich meine es nicht böse, aber wir müssen den Dingen ins Gesicht sehen. Als Ihr dann mit Jacobi nach Straßburg reist, Onkel, findet Ihr einen Drucker Grüninger vor, dem seine Druckerei fast abgebrannt wäre, und einen Kartographen, der Euch erzählt, er könne eine Karte zeichnen, die die Welt erschüttern wird. Viator sagt uns fest zu, dass er uns seine Ausgabe des Ptolemäus überlassen wird. Doch sie kommt nie hier an. Alles zieht sich hin und verzögert sich, hier eine kleinere Schwierigkeit, dort eine größere. Es ist, als wolle jemand verhindern, dass diese Karte und der überarbeitete Ptolemäus jemals gedruckt werden.»
«Und was sollte jemand mit meinen Skizzen anfangen wollen, sie sind noch völlig unfertig?»
«Auf jeden Fall gibt es eine erneute Verzögerung, nicht wahr, denn jetzt müsst Ihr neue Skizzen anfertigen, bevor Ihr Euch an die Schnitzarbeit machen könnt. Vielleicht will auch jemand wissen, was genau Ihr herausgefunden habt. Vielleicht gibt es jemanden, der selbst daran interessiert ist, eine solche Weltkarte herauszubringen wie Ihr sie plant, jemand, der uns zuvorkommen will. Dem es vielleicht darauf ankommt, ‹seine› Version der neu entdeckten Gebiete unter die Leute zu bringen, damit Eure unglaubwürdig wird. Dem es wichtig ist, bestimmte Dinge nicht veröffentlicht zu sehen. Zum Beispiel, weil Ihr geheime Atlantik-Routen verraten könntet, bestimmte Landstriche zeichnen, die besser noch ‹unentdeckt› bleiben sollten, um die Eroberung und Besetzung nicht zu stören …» Nicolas Lud zuckte die Schultern und machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
Martin Waldseemüller und Gauthier Lud hielt es nicht mehr auf ihrem Sitz. «Jovis te perdat, das kann sein. Das ergibt einen Sinn. Vielleicht hat ja Vespucci etwas von meinen Briefen erzählt, ich selbst habe auch kein Geheimnis daraus gemacht. Und dann diese Dame Simoni in Straßburg
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