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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Ilacomylus gekränkt.
Pélerin kicherte. «Nein, ich bin ganz alleine auf diese Idee gekommen. Nehmt es mir nicht krumm. Übrigens bin ich davon überzeugt, dass wir bald auch den tatsächlichen Beweis für die Kugelform der Erde haben werden. Die Umsegelung des Erdballs liegt förmlich in der Luft. Es gibt viele fähige Seeleute, die dafür in Frage kämen.»
Martin Waldseemüller nickte. «Ich finde, Ihr schuldet mir etwas für Eure Hinterlist», erklärte er dann.
Jetzt schaute Pélerin etwas verschnupft. «Nun, das Wort Hinterlist scheint mir doch etwas zu hoch gegriffen zu sein. Sagen wir, es war ein kleines Täuschungsmanöver. Trotzdem, was kann ich für Euch tun?»
«Ihr könntet mir Zugang zu Amerigo Vespucci verschaffen. Ich muss ihn einfach sprechen. Auf irgendeine Weise, die ich noch nicht genau verstehe, ist es ihm anscheinend gelungen, die Position seiner Schiffe sicherer zu bestimmen, als dies nach den bisherigen nautischen Erkenntnissen möglich war. Das Wissen darüber ist für meine Beweiskette unerlässlich. Wenn ich recht vermute, wird er die exakten nautischen Daten nur jenen mitgeteilt haben, die ihm die Mittel für seine Reisen zur Verfügung gestellt haben. Aber ich muss es genau wissen. Leider hat er auf meine bisherigen Botschaften mit der Bitte um ein Treffen niemals geantwortet. Ich hörte nun, dass unser allseits verehrter Mäzen René II. von Lothringen gute Kontakte zu Vespucci beziehungsweise seiner Familie pflegt. Könntet Ihr ihn nicht bitten, in dieser Sache mein Fürsprecher zu sein? Ich habe es zwar schon einmal getan, aber bisher ohne Wirkung. Vielleicht habt Ihr mehr Fortune?»
Pélerin musterte sein Gegenüber nachdenklich. Der Herzog würde nicht glücklich darüber sein, dass dieser sturköpfige Magister nicht locker ließ. Oder vielleicht doch? Zum Beispiel, wenn dieser Ilacomylus wirklich mit neuesten Erkenntnissen nach Saint-Dié zurückkäme, die er in seinem Sinne verwenden könnte. Um auf diese Weise also weiteres Wissen einzuhandeln, mit dem er den Zirkel der Gelehrten und Forscher «füttern» könnte, die er in seinem Reich versammelt hatte. René II. war kein Dummkopf. Er hatte längst begriffen, dass Land und Reichtum zwar die Machtfaktoren der Gegenwart waren, dass die eigentliche Macht über die Zukunft aber in den Händen jener lag, die mehr wussten als andere und die es verstanden, dieses Wissen zu ihrem Vorteil zu verwenden. Ländereien und Herrschaftsgebiet konnte man verlieren, da war selbst ein Mann wie der Herzog den Wechselfällen des Schicksals ausgeliefert. Das hatte er am eigenen Leib erfahren. Doch das Wissen im Kopf, das, was Generationen gelernt hatten, was sie noch lernen und erforschen würden, das war schwer zu stehlen und gut aufzubewahren. Außerdem machte es die neue Kunst des Buchdrucks möglich, dieses Wissen schnell und einfach zu vervielfältigen.
Damit wurde sie jedoch auch zu einer Gefahr für die Wissenden. Und gleichzeitig zu einer wirkungsvollen Waffe. Wer die Erkenntnisse des Gegners verbreitete, der nahm ihnen viel von ihrer Macht und dem Feind damit einen Teil seiner Kraft. Wer sie jedoch für sich behielt, konnte die eigene Position bei Verhandlungen äußerst wirkungsvoll stärken. Wie wirkungsvoll, das hing jedoch immer von der Tragweite des «Geheimnisses» ab.
Das, was Ilacomylus erkundete, war von beachtlicher Tragweite. Ein Mann wie er, einer, der bereits so viel wusste, der sich mit Geographie, Kosmologie, Mathematik, Astronomie, Navigation und Nautik auseinander gesetzt hatte, der damit neben dem Humanismus und der Theologie die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft in sich vereinigte, konnte besser als viele andere einschätzen, wie haltbar die These vom neuen Erdteil wirklich war.
«Also gut, ich werde mich für Euch einsetzen», antwortete er schließlich und klopfte Martin Waldseemüller freundschaftlich auf die Schulter. Der schaute ihn dankbar an, und Jean Pélerin fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sich dieser Mann der Bedeutsamkeit seiner Thesen überhaupt bewusst war?
«Aber kommt, ich habe Euch ursprünglich aufgesucht, um Euch zum gemeinsamen Abendessen zu holen, das Ihr sonst vielleicht noch versäumen könntet. Nicht zum ersten Mal, wie mir Gauthier Lud erzählte. Er meinte, vielleicht könnte Euch der Umstand, dass ich morgen abreisen muss, dazu bewegen, sich für eine Weile von Eurem Platz im Scriptorium zu trennen.»
«Oh, verzeiht, es war mir ganz entfallen, dass Ihr uns morgen bereits verlassen

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