Der Kartograph
…»
«Simoni?»
«Ja, ich hatte sie noch nicht erwähnt, glaube ich. Sie heißt eigentlich nicht Simoni, sondern Contessina de’ Medici. Das haben die Leute zumindest gemunkelt. Ich war mehr als überrascht, wie viel Aufmerksamkeit sie mir gewidmet hat. Dieser Empfang, auf den auch ich eingeladen worden bin.»
Martin Waldseemüller schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. «Natürlich, so muss es zusammenhängen. Ich hatte von Anfang an ein so seltsames Gefühl. Amerigo Vespucci, ja seine ganze Familie, steht bekanntlich seit Jahrzehnten im Dienste der Medici. Glücklicherweise habe ich nichts Genaues zu meinen Plänen gesagt. Vielleicht bereiten ja auch die Medici ein solches Werk vor. Ich habe davon gehört, dass Vespucci selbst angekündigt haben soll, er werde ausführliche Berichte über seine Reisen schreiben und auch Karten zeichnen. Amerigo Vespucci muss es ihnen gesagt haben. Deshalb hat er mir niemals geantwortet. Dabei hat Contessina de’ Medici mich unmissverständlich gewarnt. Ich war nur zu stur, ich habe Ihre Worte in den Wind geschlagen. Ich wollte sie nicht hören.»
Gauthier Lud schüttelte den Kopf. «Es klingt plausibel, dass die Medici hinter all dem stecken – und doch wieder nicht. Die Medici sind zu klug, um sich derart zu exponieren und dazu noch im Gebiet eines anderen Herrschers. René von Lothringen würde sich zu wehren wissen.»
«Vielleicht haben sie ja jemanden beauftragt», wandte Nicolas Lud ein. «Jemanden bestochen. Und wenn dem so ist, dann muss es jemand aus unserem Kreis sein.»
«Nicolas! Wie kannst Du so etwas sagen!» Trotz dieses Protestes wirkte Gauthier Lud sichtlich betroffen. Er war bleich geworden.
«Denkt doch nur, Onkel – wenn man alle diese Ereignisse zusammenfasst, dann ergibt sich eine logische Kette. Das kann kein Zufall mehr sein. Und es muss jemand aus unserem Kreis sein, jemand, der wusste, wo er die Skizzen von Ilacomylus finden kann. Wie hätten sie denn sonst so spurlos verschwinden sollen? Und wer sonst hätte Gelegenheit gehabt, ihm ein Schlafpulver in den Wein zu schütten?»
Dieser Gedanke war so ungeheuerlich, dass die drei Männer eine ganze Weile schwiegen. Sie sahen sich nur an. Ihre Illusion von der heilen Welt, der Welt des Wissens jenseits dieser schnöden Sphäre des bloßen Machtstrebens, der Intrigen und der Gier hatte plötzlich Risse bekommen.
«Ich sollte Euch verlassen. Ich bringe Euch hier nur auch noch in Gefahr!», meinte Martin Waldseemüller schließlich. Die Männer schwiegen eine Weile, jeder hing seinen Gedanken nach. Gauthier Lud schob das bärtige Kinn vor und drückte die Schultern nach hinten. Dann äußerte er fast dasselbe, was einst auch Jean Grüninger in Straßburg gesagt hatte. «Den Teufel werdet Ihr tun, Ilacomylus. Die Suppe werden wir Ihnen versalzen. Wir müssen einfach schneller sein. Und besser. Wie weit seid Ihr? Wie schnell könntet Ihr Eure Karte fertig haben?»
«Oh, ich bin mit der Seekarte schon ein gutes Stück vorangekommen.»
Lud schüttelte den Kopf. Seine Miene war entschlossen. «Ich spreche nicht von der Seekarte. Mir scheint, wir sind im Krieg. In der letzten Zeit haben wir so manche Schlacht verloren. Doch jetzt erst kommt die entscheidende. Wir werden den Gegner überraschen, etwas tun, womit er nicht rechnet. Ich meinte nicht die Seekarte, an der Ihr arbeitet, ich spreche von einer Karte der gesamten bekannten Welt. Einem großen, nein, einem monumentalen Werk. Einem, das auch die neue Welt zeigt in einer Form, bei der den Menschen der alten Welt der Atem stocken wird. Eine Karte, die allen klar macht, dass es auf dieser Erde einen vierten bekannten Erdteil gibt. Der Atlas, den wir planten in Form einer einzigen Karte, wenn Ihr so wollt. Sagt, seid Ihr dazu fähig, Ilacomylus? Und wie lange werdet Ihr dazu brauchen?»
Nicolas Lud schaute seinen Onkel fassungslos an. «Und was ist mit der Geographia, dem überarbeiteten Ptolemäus, dem großen Atlas, den wir geplant haben?»
«Wir werden ihn verschieben. Wir werden alle unsere Gegner mit dieser Weltkarte frappieren – und unsere Freunde auch, jedermann. Ha, Ihr werdet sehen, das gibt eine Sensation. Den Ptolemäus ziehen wir nach. Und Ringmann wird zur Weltkarte von Saint-Dié eine Einführung schreiben, in der er die These vom vierten Erdteil allen erläutert und die Beweise darlegt. Er kennt sich in dem Thema aus. Schließlich hat er De ora Antarctica herausgebracht. Also, Ilacomylus, könnt Ihr eine solche Karte fertigen? Ich
Weitere Kostenlose Bücher