Der Kartograph
gestehen, dass das Feuer kaum Schaden angerichtet hatte, dafür aber Waldseemüller gewarnt haben musste.
«Nun, weiter. Ich höre.» Das klang nicht sehr nachsichtig, der Kloß im Hals des kleinen Mannes wurde größer. Er räusperte sich.
«Nun, Euer Gnaden, es ist so …»
«Also wie?»
«Plötzlich war dieser Waldseemüller auch aus Straßburg verschwunden. Wir dachten, so lange er auf der Flucht ist, wird er wohl kaum daran denken, eine Karte der neuen Welt zu zeichnen. Und nun …»
«Was, und nun?»
«Die Basler verfolgen ihn nicht länger. Johann Amerbach, der Drucker, der in der Stadt ein äußerst angesehener Mann ist, hat sich mit der ganze Kraft seiner Beziehungen für ihn eingesetzt.»
«Und wie zum Teufel gerät dieser Kartograph nach Saint-Dié? Ausgerechnet nach Lothringen, ausgerechnet unter den Schutz dieses ehrgeizigen Herzogs, ausgerechnet in einen Kreis von Gelehrten, die ihm bei seiner Aufgabe helfen können? Schlimmer hätte es kaum kommen können. Das ist eine Katastrophe. Bin ich denn hier nur von Idioten umgeben!» Piero Soderini brüllte jetzt. «Spart Euch die Antwort. Ich kann Euch sagen, wie. Ihr seid unfähig. Ihr habt versagt, auf der ganzen Linie versagt. Ich werde entsprechend handeln.»
Der Bannerträger der Gerechtigkeit machte eine wegwerfende Handbewegung und läutete.
Der kleine Mann sank auf die Knie. Kurz nahm er den weichen Teppich wahr, auf dem er bisher gestanden hatte, dann überfiel ihn die Todesangst. «Euer Gnaden, ich flehe Euch an! Niemand konnte diese Entwicklung voraussehen! Ich verspreche, ich werde alles wieder in Ordnung bringen.» Er kreischte jetzt fast.
Piero Soderini betrachtete ihn angewidert. «Ich kann keine Versager in meinem Dienst brauchen.» Vier Bewaffnete der privaten Leibgarde Soderinis öffneten die Türe. Der Gonfaloniere nickte nur mit dem Kopf. Da packten sie den knienden Unglücklichen und schleppten ihn aus dem Zimmer. Soderini konnte sein Kreischen noch durch die Räume hallen hören, lange nachdem sie ihn aus der Tür gezerrt hatten. «Euer Eminenz, Euer Gnaden, Erbarmen, ich mache alles wieder gut. Euer Gnaden, Euer Gnaden …»
Warum stopften sie ihm nicht endlich das Maul? Warum war dieser Kretin nicht endlich ruhig? Er musste nachdenken. René von Lothringen hatte mächtige Freunde. Freunde, die ihm einen Gefallen schuldeten. Und diese wiederum hatten bei ihm angefragt und um eine Kopie seiner Veröffentlichung der Quatuor navigationes , um die Lettera gebeten. Freunde, denen selbst der Gonfaloniere von Florenz nicht so einfach etwas abschlug. Es musste ihm gelingen, sie hinzuhalten. So lange, bis das Problem dieses Kartographen, wie sollte man sagen – gelöst war. Dieser Waldseemüller verstand zu viel von Navigation, dem Stand der Sterne, der Geographie, der Kosmographie. Die kleinen Veränderungen würden ihm sofort auffallen. Er durfte die Lettera nicht in die Hände bekommen. Und er durfte Amerigo Vespucci niemals treffen. Piero Soderini saß noch eine Weile regungslos hinter seinem prächtigen Schreibtisch. Dann läutete er zum zweiten Mal.
Einige Wochen nach der Abreise von Johann Amerbach trabten erneut Pferde über die südliche Brücke von Saint-Dié, durch das Tor, die Hauptstraße entlang in Richtung Kathedrale. Die Menschen beachteten sie anfangs nicht sonderlich. Sie waren daran gewöhnt, dass um diese Jahreszeit Besucher kamen. Das große Fest im Andenken an die Präsentation Marias im Tempel stand unmittelbar bevor. Es wurde jedes Jahr am 21. November begangen und lockte viele Besucher an. Denn es gab ein Schauspiel, das besonders die Frauen begeisterte. Kleine Kinder, reich gewandet und ausstaffiert, spielten die Szene nach. Gauthier Lud hatte die Tradition dieses Festes bereits 1494 begründet und alle waren ihm dankbar, es hatte sich zu einem der Höhepunkte in Saint-Dié zu einer Zeit des Jahres entwickelt, die ansonsten eher düster, neblig, kalt und an besonderen Ereignissen arm war. Selbst die Frauen von Saint-Dié, die sonst immer als Erste über das Wer, das Wohin und das Wieso eines neuen Besuchers Bescheid wussten, hatten kaum Zeit, den Ankömmlingen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In allen Stuben wurde gestickt, genäht, geschneidert. Jedes Kostüm sollte das schönste sein.
Als der Tross das große Tor passiert und das Stiftsgelände erreicht hatte, stieg eine der beiden Damen von ihrem Zelter. Beide waren tief verschleiert, von Dienern und mehreren Gepäckgespannen begleitet. Also mussten es
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