Der Kartograph
wir so, ich hatte es gehofft. Was ist denn schlimm daran, sich Ziele zu setzen und diese konsequent zu verfolgen? Ihr tut das auch. Auf Eure Weise. Und warum sollte es nicht möglich sein, dass unsere und Eure Ziele sich treffen, dass der Aufbruch meiner Familie in eine neue Welt, in eine neue Zeit, auch zu dem Euren werden kann? Dass unser Abenteuer auch Eures sein könnte? Wollt Ihr nicht dorthin, wollt Ihr nicht das alles sehen, was Ihr bisher nur von Vermutungen und von den Karten anderer her kennt? Wollt Ihr Euch nicht selbst überzeugen, anstatt immer den Berichten anderer vertrauen zu müssen? Die Kapitäne der Medici könnten einen guten Kartographen gebrauchen, einen Mann wie Euch.»
Ihre Worte fielen schwer in seine Seele, wie Kiesel auf den Grund eines Sees. Er schaute auf sie hinunter. Da saß sie, ruhig, ganz die große Dame, ihr Mund lächelte verbindlich, ihre graublauen Augen blickten freundlich zu ihm auf.
Es hielt ihn nicht mehr bei der Bank, auf der sie saß. Er lief den Schankraum auf und ab. Was sie ihm da anbot, überstieg seine kühnsten Träume. Oh doch, das wollte er! Und wie er das wollte! Sich einschiffen, hinauf in den Himmel blicken, sehen, wie sich die Segel im Wind blähten, das Klatschen der Wellen an die Bordwand hören. Ja, auch den furchtbaren Gestank, die Enge im Bauch des Schiffes ertragen, all das erleben, von dem er immer wieder gehört hatte: das schlechte Essen, die Kameradschaft, das Schuften, die Stürme, die Meeressonne auf dem Gesicht und das Salz der See auf der Haut. Ein Teil zu sein – Teil dieses ganzen verrückten, wunderbaren, gefährlichen, erregenden Abenteuers. Abrupt blieb er stehen und wandte sich zu ihr um.
«Was wollen die Medici dafür?»
«Eure Treue, Eure Loyalität. Meine Familie lässt Euch außerdem ausrichten, dass sie Euch für Eure Dienste als Kartograph selbstverständlich angemessen entlohnen wird.»
Bereits während sie diesen Satz sagte, veränderte sich sein Gesicht. Die braunen Augen, die gerade eben noch vor Abenteuerlust und Erwartung geradezu gesprüht hatten, wurden ausdruckslos. «Da ist noch mehr, nicht wahr? Es gibt noch eine Bedingung.»
«Ja. Eure Verschwiegenheit. Außerdem müsstet Ihr mit mir zusammen aufbrechen und sofort nach unserer Ankunft an Bord gehen.»
«Das ist es also. Die Medici wollen, dass ich die Pläne für diese Karte aufgebe. Dass ich mir meine Treue, Loyalität und Verschwiegenheit bezahlen lasse, ebenso wie meine Ehre als Gelehrter und Wissenschaftler.»
Sie hob die Hand. «Halt, Magister Waldseemüller, oder Ilacomylus. Sprecht nicht weiter, ehe Ihr nachgedacht habt. Schlaft eine Nacht darüber. Die Medici bieten Euch einen Weg ins Paradies, eine glänzende Zukunft, Ruhm, ja in gewissem Sinne sogar die Unsterblichkeit. Wer weiß, vielleicht reiht Ihr Euch selbst eines Tages unter die großen Entdecker ein? Überlegt in Ruhe, ehe Ihr das alles in einem Augenblick beiseite wischt.
Und da ist noch etwas, das Ihr in Eure Überlegungen mit einbeziehen solltet. Da ist eine gewisse junge Frau, die sich in meiner Gesellschaft befindet. Eine ganz reizende Person übrigens.»
«Marie» – allein den Namen auszusprechen bereitete ihm Qualen. Das Herz war ihm fast stehen geblieben, als er sie so neben Contessina de’ Medici hatte in die Herberge gehen sehen, ihren Säugling auf dem Arm. Die Mutterschaft hatte sie noch schöner gemacht, noch weicher, noch fraulicher. Noch begehrenswerter. Wäre er jünger gewesen, er hätte vielleicht doch noch auf ein Wunder gehofft, darauf, dass sie eines Tages die Seine werden könnte. Doch er war zu alt, hatte zu viel gesehen und erlebt, um der Macht der Engel zu vertrauen. Die des Teufels war fast immer stärker. Wenn es für sie beide eine Zukunft gab, dann klebte Unrecht daran. Das war kein guter Boden für das Glück, das er sich so sehr mit ihr ersehnte. Er wusste, nach ihr würde er nie wieder eine andere Frau so lieben, so begehren können wie sie.
Contessina de’ Medici sah den Schmerz in seinen Augen, die Sehnsucht, das Verlangen. Sie kam sich nicht gerade sehr edel vor bei dem Gedanken, diese Gefühle für die Zwecke der Medici auszunutzen. Andererseits rettete sie ihm damit vielleicht das Leben. Gleichzeitig wünschte sie sich, auch so geliebt zu werden wie dieser Mann Marie Grüninger liebte. Sie hatte ihren Gatten gern, hatte ihn genommen, weil die Familie es so wollte. Es war keine schlechte Ehe. Aber diese Form von Liebe – nein. Diese Form von Liebe, dieses alles
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