Der Kartograph
wissen. Dieser Kartograph konnte möglicherweise den ganzen Schwindel auffliegen lassen.
Nein, niemand durfte erfahren, dass die Lettera – nun, dass er Vespuccis bekannte Beschreibungen zusammen mit seinem Sekretär ein wenig ergänzt hatte. Vor allem: Waldseemüller durfte Vespucci niemals begegnen. Er konnte dabei womöglich Dinge erfahren, die noch nicht einmal der Gonfaloniere von Florenz wusste. Dann stand sein eigener Ruf als redlicher Mann auf dem Spiel. Die Florentiner hatten eigentlich nichts gegen Lügner und Betrüger, sie waren Geschäftsleute. Sie hatten nur etwas gegen dumme Lügner und Betrüger, solche, die sich erwischen ließen. Selbst, wenn sie Piero Soderini hießen und das Amt des Gonfaloniere bekleideten. Bei diesem Gedanken zog sich in ihm alles zusammen.
Noch einmal tippte er mit seinem Spinnen-Zeigefinger auf die Zeilen Waldseemüllers. «Woher habt Ihr überhaupt diesen Brief? Wie kann ich sicher sein, dass es nicht noch mehr dieser Schreiben gibt?»
Der Mann verneigte sich tief. «Wie Ihr wisst, haben wir einen Spion bei den Vespuccis, ein braver Mann. Er weiß, was er Euch, der Signoria und Florenz schuldig ist.»
Piero Soderini nickte zufrieden. Es war immer gut, ganz sicher zu gehen. Das bewahrheitete sich jetzt wieder einmal. Wie alle hatten die Vespuccis versichert, sie würden mit ihm zusammenarbeiten, doch sie taten gerade so viel, wie sie mussten. Er konnte ihnen nicht viel anhaben, sie eigentlich nicht dazu zwingen, die Geheimnisse des Seefahrers herauszurücken. Und das wussten sie. Die Familie hatte Gewicht in Florenz, das Wort eines Vespucci galt etwas. Wahrscheinlich konnten sie ihm ebenso viele Schwierigkeiten bereiten wie er ihnen. Deswegen hatten sie sich stillschweigend auf eine Art Burgfrieden geeinigt. Amerigo Vespucci stammte aus einer der kultiviertesten Patrizierfamilien der Stadt. Sein Vater hatte sogar den berühmten Domenico Ghirlandaio beauftragt, ein Familienbildnis zu malen. Es hatte für Furore gesorgt. Amerigo Vespucci selbst hatte seine Sippschaft ebenfalls nie im Stich gelassen. Seit dem Tod des Vaters trug er mit seinen Einnahmen zum Unterhalt der Familie bei.
Der kleine Mann sah, dass der Gonfaloniere etwas gelöster wirkte. Seine letzte Antwort schien Soderini gefallen zu haben. Der Agent vor seinem Schreibtisch entspannte sich etwas. Allerdings nur für wenige Augenblicke. Dann kam die Frage, vor der er sich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte.
«Und wieso ist dieser Waldseemüller überhaupt in SaintDié? Warum haben die Basler ihn nicht festgesetzt? Schlimm genug, dass Euer Mann diese Fehler gemacht hat. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?»
Der Angesprochene sank wieder in sich zusammen. «Mein Mann wusste nicht, wie dieser Waldseemüller aussah. Wie hätte er ahnen sollen, dass derjenige, den er in dessen Kammer antraf, gar nicht der Gesuchte war? Er wollte ihn doch nicht töten, aber es blieb ihm keine andere Wahl, als der andere ihn angriff.»
«Ich bin von lauter Unfähigen umgeben. Ich hoffe, dieser Dummkopf hat bekommen, was er verdient. Doch die Angelegenheit hätte wenigstens zu etwas gut sein können. Ihr hattet mir hoch und heilig versichert, es werde Euch gelingen, den – äm … Unfall – diesem Waldseemüller in die Schuhe zu schieben. Warum also ist er nicht schon längst festgesetzt und wartet auf seine Hinrichtung?»
«Er ist geflohen, Euer Gnaden, bevor die Häscher ihn fassen konnten.»
«Weshalb haben ihn dann Eure Leute nicht erwischt?» Die Stimme des Gonfaloniere hatte einen stählernen Klang bekommen, was sein Zischen noch fürchterlicher machte. «Und warum macht Ihr mir erst jetzt Mitteilung von der ganzen Angelegenheit?»
Der Angesprochene war immer bleicher geworden. Man sah ihm an, dass er sich am liebsten im nächsten Mauseloch verkrochen hätte. Piero Soderini war nicht bekannt dafür, dass er Fehler leicht verzieh. Er konnte sich keine Fehler leisten.
«Nun, wir haben ihn zunächst ebenfalls aus den Augen verloren, konnten allerdings schließlich herausfinden, wohin er geflohen war. Wir haben dann den Schergen des Basler Magistrates auf diskrete Art einen Hinweis zukommen lassen, wo sie den Gesuchten finden könnten. Damals hielt er sich in der Druckerei von Jean Grüninger in Straßburg auf. Wir haben außerdem dafür gesorgt, dass Waldseemüller seine Karte dort nicht drucken lassen kann.» Er machte eine Pause und senkte den Kopf. Dann verwarf er den Gedanken schnellstens wieder, dem Gonfaloniere zu
Weitere Kostenlose Bücher