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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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zunächst an jene
Bereiche der Weltkarte, die unstrittig waren.
Der Sommer des Jahres 1506 war schon beinahe vorbei, der
zeitliche Druck wuchs. Manchmal wurde die Anspannung, das
Gefühl, sich unbedingt beeilen zu müssen, in seinem Inneren
schon fast unerträglich. Denn irgendwo gab es jemanden, der
sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigte. Dessen war er
sich zu jeder Stunde, an jedem Tag bewusst. Noch immer hatte
er die Soderini-Ausgabe der Quatuor navigationes nicht , noch
immer gab es keine Aussicht auf eine Zusammenkunft mit
Amerigo Vespucci. Dabei hatte er Vespucci bereits drei weitere,
immer drängendere Schreiben mit der Bitte um ein Gespräch
geschickt. Und Gauthier Lud hatte bereits mehrere Male bei
Herzog René von Lothringen nachgefragt, ob er denn schon
etwas erreicht habe. Immer war die Antwort negativ. Inzwischen schien der sonst so liebenswürdige Herzog schon recht
enerviert zu sein. Seine Botschaften in dieser Angelegenheit
klangen jedenfalls immer mürrischer.

10.
    Piero Soderini, Gonfaloniere von Florenz, faltete den Brief zusammen. Er hatte Mühe, seine Panik unter Kontrolle zu bekommen. Er war kreideweiß vor mühsam unterdrücktem Zorn. «Ich hatte gedacht, die leidige Angelegenheit ist längst erledigt und das Projekt dieses Kartographen, wie heißt er noch – ach ja, Ilacomylus – gehört endgültig der Vergangenheit an.»
    Der Mann, der mit gebeugtem Kopf vor dem gewaltigen, mit Gold- und Perlmutt-Intarsien verzierten Schreibtisch des mächtigsten Mannes von Florenz stand, wurde womöglich noch kleiner, als er es ohnehin schon war.
    «Also, wie kommt es dann, dass er dauernd diese Bettelbriefe an die Vespuccis schreibt? Ihr hattet mir geschworen, der Mann sei völlig in die Enge getrieben und werde mit Sicherheit nicht daran denken, seine Pläne weiter zu verfolgen.» Piero Soderini, der «Bannerträger der Gerechtigkeit», oberster Priore der florentinischen Signoria, war eigentlich für seine stoische Ruhe und Sachlichkeit bekannt. Sein Mienenspiel, seine Gestik und seine Art, sich auszudrücken, verrieten selten, was er dachte. Doch dieses Mal war seine Stimme sehr leise, gefährlich leise. Er zischte fast.
    Soderini hob den Brief hoch und warf ihn ärgerlich auf den Tisch. Seine schmale Linke knallte auf das Holz, der Zeigefinger seiner Rechten deutete auf die Zeilen. Dadurch ähnelten seine schmalen Finger noch mehr den Beinen einer Spinne. «Hier. Er will die Quatuor navigationes . Er erdreistet sich sogar, nach näheren nautischen Angaben zu fragen, sich zu erkundigen, ob Vespucci nicht vielleicht eine zusätzliche Möglichkeit entdeckt habe, die es ihm ermöglichte, die Position eines Schiffes genauer zu bestimmen, als dies bisher möglich war.»
    Piero Soderini räusperte sich und rückte seinen linken Ärmel zurecht. Beinahe hätte er zu viel gesagt. Er hatte alle Paläste der Medici auf den Kopf stellen lassen auf der Suche nach Papieren mit genau diesen Angaben. Amerigo Vespucci hatte sich glattweg geweigert, ihm diese Auskünfte zu geben. Er berief sich auf das Schweigeversprechen, das er seinen Auftraggebern gegeben hatte, ohne sich jedoch dazu zu äußern, wer diese waren. Er konnte es sich denken. Die Medici steckten dahinter.
    Die Medici – hatte nicht die Vergangenheit zur Genüge gezeigt, welche Gefahr sie für die Republik Florenz darstellten! Doch ihnen hatte Amerigo geschrieben, von seinen Reisen berichtet, nicht ihm, dem Regenten von Florenz, dem Mann, den er einst als seinen Freund bezeichnet hatte! Einen anderen hätte er auf die Streckbank geholt und die Geheimnisse aus ihm herausgefoltert. Aber Vespucci war viel zu berühmt – und außerdem nicht greifbar. Er weilte nicht in seiner Heimatstadt. Es war lächerlich, ein Gonfaloniere von Florenz, der von nichts wusste, der eigentlich mit der Schulter zucken musste, wenn es um eine der bedeutsamsten Entdeckungen dieses Jahrhunderts ging.
    Aber er hatte sich zu helfen gewusst. Piero Soderini hätte beinahe gelächelt in Erinnerung daran, wie begeistert seine Lettera in der Welt der Wissenschaft im Norden Europas aufgenommen worden waren. Sie hatten ihm gratuliert, versucht, sich bei ihm einzuschmeicheln. Er hatte natürlich sorgfältig darauf geachtet, dass die meisten Exemplare jenseits der Alpen kursierten, weitab von Florenz, weitab von Spanien und Portugal. Es war besser, keine schlafenden Hunde zu wecken. Er hatte aber auch dafür gesorgt, dass in Florenz bekannt wurde, welche wichtigen Informationen

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