Der Kartograph
begriffen, dass es in Europa Kräfte gibt, die sehr unglücklich über Eure Pläne sind. Kurz, es ist meiner Familie zu Ohren gekommen, dass Ihr noch immer darauf beharrt, eine Seekarte zu fertigen, die in einigen wesentlichen Punkten erheblich von jenen abweicht, die es bisher gibt. Eine Karte, die im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Reisen von Amerigo Vespucci beruht. Vor allem aber, dass Ihr keine Ruhe gebt. Dass Ihr immer noch versucht, an Amerigo Vespuccis Erkenntnisse zu gelangen. Ihr wisst, dass Vespucci über lange Jahre im Dienste der Medici war? Dass die Familie Vespucci seit Generationen loyal zu meiner Familie gestanden hat? Kurz, dass wir es waren, die Vespucci überhaupt den, sagen wir einmal, Anlass für seine Fahrten gaben?»
«Ist er nicht in Diensten und unter der Flagge der Portugiesen und der Spanier gesegelt?»
«Offiziell ja. Doch ohne unsere Verbindungen wäre es vielleicht niemals so weit gekommen. Die Medici zogen es angesichts der politischen Verhältnisse in Florenz vor, in dieser Angelegenheit nicht in Erscheinung zu treten. Ich will völlig offen sprechen. Für meine Familie ist es von existenzieller Bedeutung, dass einige der Entdeckungen, insbesondere die genauen nautischen Daten, nicht jedermann zugänglich gemacht werden. Mein Bruder Giovanni hofft auf lukrative Geschäfte mit der neuen Welt. Ihr wisst ja, dass die Medici in Florenz gewisse Schwierigkeiten hatten und deshalb gezwungen sind, ihre Fühler auszustrecken. Die Terra incognita birgt möglicherweise große Schätze. Es ist noch lange nicht alles erkundet. Niemand weiß, was jenseits der Gestade, bis zu denen Vespucci vorgedrungen ist, noch alles an Entdeckungen wartet. Es wäre den Medici entschieden lieber, die gewaltige Ausdehnung dieser neuen Welt bliebe zunächst im Dunkeln. Es muss Euch doch klar sein: Diese Territorien ergäben allein von ihren Ausmaßen her ein grandioses Königreich für denjenigen, dem es als Erstem gelingt, sie sich untertan zu machen. Außerdem kontrolliert jeder, der diese Territorien besitzt, den weiteren Seeweg nach Westen und …» Wieder sprach sie den Satz nicht zu Ende.
Er sprang auf. «Jetzt wird mir auch klar, warum sich Amerigo Vespucci auf meine Briefe niemals gemeldet hat. Die Medici haben es verhindert. Weil sie nicht wollen, dass ich hinter ein bestimmtes Geheimnis komme. Es gibt doch noch ein Geheimnis, nicht wahr? Ich bin sicher, Amerigo Vespucci hat nicht nur eine riesige Landmasse entdeckt, sondern darüber hinaus eine Methode gefunden, um den Kurs eines Schiffes genauer als bisher möglich vorherzuberechnen, ebenso die Position. Seine Ergebnisse sind viel exakter als die bisher üblichen Messungen über die Geschwindigkeit, die Meeresströmungen, den Stand der Gestirne, mit Kompass, Jakobsstab oder Astrolabium. Er kann nicht nur die Breitengrade exakter berechnen, nicht wahr, sondern auch die geographische Länge. Das ist es, was ich nicht wissen soll. Weil dieses Wissen die Navigation der Schiffe der Medici und damit deren Schnelligkeit und Kursgenauigkeit allen anderen überlegen machen und gleichzeitig die Verluste an Männern und Material verringern würde. Außerdem darf Amerigo Vespucci nicht deutlich sagen, dass er nicht nur Terra incognita entdeckt hat, ein unbekanntes Land im Osten Asiens, sondern einen völlig neuen Erdteil, dessen Dimensionen bisher noch niemand einzuschätzen vermag. Außer eben ein Mann, der aufgrund seines Wissens in der Lage ist, die Beschreibungen Vespuccis richtig einzuordnen und sie in Form einer Karte zugänglich zu machen.
Doch die Überlegungen der Medici reichen sicher noch weiter. Die große Zeit der Entdeckungen hat ja gerade erst begonnen. Es ist also klar, dass es jenseits dieses neuen Erdteiles noch ein weiteres Meer gibt. Dass jenseits dieses Ozeans wahrscheinlich noch weitere lohnenswerte Ziele auf ihre Eroberung warten. Winkt nicht ab, haltet mich nicht für so naiv. Ich weiß wie Ihr, dass wir, was die Erforschung unserer Welt anbetrifft, noch lange nicht am Ende der möglichen Entdeckungen sind. Ihr habt es ja bereits durchklingen lassen: Die Medici wollen die Ersten sein auf diesem Weg gen Westen, die Schnellsten und am Ende die Reichsten, die Herrscher der neuen Welt. Wie sagtet Ihr doch: genügend Land für ein eigenes Königreich? Dafür tut Eure Familie einiges, nicht wahr? Oh doch, ich habe die Warnung verstanden. Aber habt Ihr wirklich geglaubt, ich würde deshalb aufgeben?» Seine Stimme war bitter geworden.
«Sagen
Weitere Kostenlose Bücher