Der Kartograph
«Martin, ich konnte dich nicht vergessen. Diese ganzen Wochen, diese ganzen Monate nicht. Wie kann ich – wie kann ich mit einem anderen Mann leben, wenn ich … Ich weiß, ich sollte es nicht sagen, ich tue es dennoch, meine Ehre ist mir inzwischen gleichgültig. Da ich, ja, da ich dich liebe!» Beinahe hätte sie selbst geglaubt, was sie da sagte.
Da konnte er nicht mehr anders. Er hätte jubeln können vor Glück. Sie liebte ihn. Er scherte sich nicht mehr darum, dass jeder sie sehen konnte. Er zog die Frau, nach der er sich schon so lange so verzweifelt gesehnt hatte, in seine Arme. Sie schmiegte sich an ihn, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
«Marie», flüsterte er in ihr Haar. «Was sollen wir nur tun? Du gehörst einem anderen.» Er legte die Hand unter ihr Kinn, hob ihren Kopf und zum ersten Mal nach so langer Zeit küsste er sie, fühlte er wieder ihre Lippen auf den seinen. Ihr Mund öffnete sich, er konnte spüren, dass auch sie ihn begehrte, wie sehr auch sie ihn liebte. Er hielt es nicht mehr aus und löste sich von ihr. Sein ganzer Körper schmerzte vor Verlangen nach dieser Frau.
«Ich wüsste vielleicht eine Möglichkeit», flüsterte sie, ihren Kopf an seine Schulter gelegt, eine Geste, die ihn zutiefst entzückte. «Deswegen bat ich Contessina de’ Medici auch flehentlich, mich mitzunehmen. Sie ist eine gütige Frau, eine vornehme Dame. Sie willigte trotz der – unglücklichen – Lage der Dinge schließlich ein.»
«Und was wäre diese Möglichkeit?»
«Wir könnten fortgehen. Weit fort. Sie erzählte mir von dem Angebot der Medici an dich. Das ist wie ein Zeichen des Himmels, mein Liebster. Ich könnte mit dir nach Florenz kommen, wir könnten zusammen leben, ganz offen, als Mann und Frau. Und während du zur See fährst, mein Herz, vielleicht sogar eines Tages als Kapitän eines eigenen Schiffes, würde ich auf dich warten, unsere Kinder groß ziehen, an dich denken, dich lieben …»
Sein Körper hatte sich mit jedem ihrer Worte mehr versteift. Er schob sie von sich. Seine Augen waren dunkel vor Enttäuschung. «So ist das also. Ihr arbeitet mit jeder List, um zu verhindern, dass meine Seekarte gedruckt wird. Und du, die Frau, die ich liebte, gibt sich zu diesem bösen Spiel auch noch her. Ich bin nicht so dumm, so blind, wie ihr anscheinend alle glaubt. Marie, wieso? Wieso tust du das?»
Er wandte sich zum Gehen.
Sie lief hinter ihm her, jetzt wirklich verzweifelt. Sie hatte ihn unterschätzt, hatte gedacht, ihn leicht überzeugen zu können. Sie musste ihn gewinnen! Er war ihre Chance, ihr Weg in ein besseres Leben. Contessina de’ Medici und sie hatten es sich während der Reise in den glühendsten Farben ausgemalt. Marie war völlig klar, dass die Florentinerin sie benutzte. Es war ihr gleich. Man würde sehen, wer am Ende am meisten von dem Handel profitierte. Sie hielt sich für schlau genug, um aus der Lage das Beste zu machen. Doch jetzt drohten ihr alle ihre Hoffnungen durch die Finger zu gleiten. Warum war dieser Mann nur so dumm, so borniert, so stur! Sah er denn nicht, welche Möglichkeiten sich ihm boten, begriff er denn nicht, dass dies die Chance seines Lebens war? Ein Angebot wie dieses würde er niemals wieder bekommen. Und nun, schien es, war er im Begriff, dies alles wegzuwerfen. Wegen eines falschen Ehrgeizes, wegen einer lächerlichen Weltkarte, wegen seines verletzten Stolzes. Es nutzte nichts. Sie musste jetzt ihre letzte Trumpfkarte aus dem Ärmel ziehen. «Martin, bitte. Es ging mir wirklich nur um unsere Liebe!»
Sie stockte. «Es ging mir um uns. Ich muss dir noch etwas beichten. Martin, bitte warte doch! Ich habe bei diesem Vorschlag nicht nur an uns beide gedacht. Es gibt noch einen anderen Grund.»
Er hielt inne und drehte sich um. Sie sah den Schmerz in seinen Augen. «Sag mir, was du zu sagen hast.»
Sie trat noch einen Schritt näher zu ihm, so, dass er sie riechen, die Wärme ihres Körpers spüren konnte, doch ohne ihn zu berühren. «Martin – ich – es fällt mir schwer. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, du solltest nicht glauben, dass ich dich nur deswegen so sehr liebe. Aber es ist – du hast eine Verantwortung, von der du nichts weißt. Das Kind, das du in meinen Armen gesehen hast. Es stammt nicht von meinem Gatten, sondern von meinem wirklichen Mann, dem Mann, dem mein ganzes Herz gehört. Es ist ein Mädchen. Sie heißt Jeanne-Martine. Du bist der Vater. Es ist deine Tochter. Willst du uns beide wirklich einfach
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