Der Kartograph
so im Stich lassen? Vielleicht habe ich kein Anrecht darauf, etwas von dir zu fordern. Aber Jeanne-Martine hat es. Du musst nur in ihr Gesichtchen schauen, dann weißt du, dass nur du ihr Vater sein kannst.» Das Mädchen hieß Jeanne-Pierette. Aber Jeanne-Martine machte sich in Anbetracht der Umstände besser, fand sie. Und es schadete ja nichts.
Er stand wie vom Donner gerührt. Dann erhellte ein strahlendes Lächeln sein Gesicht. Sie triumphierte innerlich. «Bist du dir sicher?»
Sie nickte verschämt. «Ja, du bist der Einzige, der dafür in Frage kommt. Sie sieht so sehr aus wie du.»
Er nahm sie in seine Arme. In seinem Inneren tobte es, sein Herz schlug, als wolle es sofort zerspringen. Eine Tochter, er hatte eine Tochter. Marie hatte Recht. Er durfte sie nicht im Stich lassen. «Ich hoffe, sie wird einmal so wunderschön wie du, mein Herz», flüsterte er in ihr Haar. Sie fühlte sich so weich an. Sie duftete so wunderbar. Er hätte am liebsten sofort ihr Kleid geöffnet, ihre Brüste gestreichelt, ihre Röcke hoch geschoben …
Nein, nicht jetzt. Sie war seine Frau, die Mutter seines Kindes. Ihre Ehre war auch seine Ehre. «Du hast Recht, meine Liebste. Vielleicht ist es ein Zeichen, dass die Medici mich in ihren Dienst nehmen wollen. Wirst du auf mich warten, mir treu sein, während ich auf See bin?»
Sie strahlte zu ihm auf. «Du bist der Mann, den ich liebe, dessen Kind ich geboren habe und dessen Kind ich vielleicht bald wieder unter dem Herzen trage. Kann eine Frau denn mehr tun für den Mann, den sie liebt, als ihre Ehre zu opfern, heimlich mit ihm fortzugehen, obwohl sie nicht mit ihm, sondern mit einem anderen verheiratet ist?»
Sie hatte nicht die mindeste Absicht, in Florenz treu und brav daheim zu sitzen. Die Florentiner sollen feurige Liebhaber sein, hatte sie gehört. Und vielleicht fand sie einen, der dazu noch sehr, sehr reich war …
«Ich werde dich und unsere Tochter nicht im Stich lassen», bestätigte er. «Und wir werden auch einen Weg finden, vor Gott und den Menschen zu unserem Bund zu stehen.»
«Dann lass uns gehen und es Contessina de’ Medici sagen.» Sie musste sich beherrschen, um ihre wilde Genugtuung nicht zu zeigen.
Sittsam, ohne sich zu berühren, und dennoch nah beieinander gingen sie nach Saint-Dié zurück.
Nicolas Lud sah sie und runzelte die Stirn. Was sollte das bedeuten? Er hatte gleich ein so seltsames Gefühl gehabt, als die beiden Damen angekommen waren. Doch Ilacomylus hatte ein großes Geheimnis um das Anliegen gemacht, das die beiden Frauen zu ihm geführt hatte.
Martin Waldseemüller konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, während er Seite an Seite mit Marie durch den Sonnenschein zurück zur Herberge ging. Das Wasser der Meurthe plätscherte wie zuvor, wirbelte um Steine, nahm seinen gewohnten Lauf. Die Vögel sangen wie zuvor, die Sonne schien wie zuvor, die Welt war trotz der vorgerückten Jahreszeit warm, das Gras noch grün. Wie zuvor. Und doch war alles plötzlich völlig anders. Neben ihm ging die Frau, die er liebte, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, die Mutter seiner Tochter. Er war Vater, bald Ehemann, er hatte eine Familie.
Er öffnete die Türe zur Herberge, um Marie hindurchgehen zu lassen. Da sah er, wie sie mitten im Schritt innehielt. Ihre Stimme war kalt, aber auch erschrocken. «Was tust du denn hier?», erkundigte sie sich gepresst.
«Ich hole meine Frau und meine Tochter zurück», erklärte der Mann, der auf der Bank an einem der Tische saß. Er war eher mittelgroß, schmächtig. Er hatte kein schönes Gesicht. Die Nase war zu groß, die Lippen zu schmal. Er wirkte eher farblos in seinem grauen Rock, wie ein Mann, der selten an die Sonne kommt. Seine Miene verriet nichts. Nur seine Augen, dieser Schmerz, diese Traurigkeit darin, sie sagten genug.
«Ich gehe nicht mit dir.»
Martin Waldseemüller erkannte seine sanfte Marie kaum wieder. Ihr Gesicht war hart geworden, kalt. Ihre Augen sprühten Hass.
«Woher weißt du, dass ich hier bin?»
«Oh, das war nicht schwer. Halb Straßburg hat gesehen, in wessen Begleitung du fortgeritten bist. Und die andere Hälfte wusste, wohin die Reise gehen sollte. Dienstboten und Schankpersonal sind nicht verschwiegen, das hättest du dir eigentlich denken können. Schon gar nicht, wenn es um einen solchen Skandal geht. Doch ich werde dir nicht erlauben, auf meiner und der Ehre meiner Familie herumzutrampeln. Pack deine Sachen und komm. Wir verlassen Saint-Dié in einer halben Stunde.»
Martin
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