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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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hob mich in die Höhe. Er
hielt mich über seinem Kopf, als wolle er mich dem Himmel darbieten. »Du sollst
schweigen«, sagte er.
    Und dann warf er mich mit einem Grunzen
von der Brücke in die tosende Reuss.

V.
    Sah er zu, wie mich die
Wellen verschlangen? Oder wandte er sich ab, damit seine Augen seine Sünde
nicht mit ansehen mussten? Ich weiß nur, dass er nicht versuchte, sich zu
vergewissern, dass sein Sohn wirklich tot war. Er lief nicht am Ufer entlang,
um zu sehen, wie mir das Wasser die zerfetzten Kleider und die Schlinge vom
Leib riss, wie ich um mich schlug und nach Luft schnappte, wenn eine Welle mich
nach unten zog und die nächste mich wieder nach oben spülte. Er sah nicht zu,
wie meine Kräfte nachließen, wie das weiße Wasser schwarz wurde und ich zu
ertrinken begann. Er sah meinen Körper nicht nach unten sinken, als sich meine
Lungen mit Wasser füllten. Er empfand keine Reue und versuchte nicht, mich zu retten.
    Aber seine Augen waren an diesem
Morgen nicht die einzigen auf der Straße, die durch Uri führte. Als ich
erwachte, hörte ich Stimmen, bevor ich die Augen aufmachte.
    »Nein, lass es. Ich würde ihn nicht
mehr anfassen.«
    Die erste Stimme war dünn und gequetscht,
als hätte der Sprecher die Lippen gespitzt, aber die zweite war tief und warm:
»Mach dir keine Sorgen, er ist frisch gebadet.«
    »So ein mageres Kerlchen«, erwiderte
der erste. »Nur Haut und Knochen. Bestimmt hat er eine Krankheit. Hör mal, wie
er hustet.«
    »Er hat den halben Fluss getrunken.
Und Haut und Knochen, das ist hier normal – nichts zu essen in den Bergen. Nur
Gras und Dreck.«
    Spitze Steine bohrten sich in meinen
nackten Rücken. Die Sonne war warm, aber das feuchte Ufer war eisig. Ich
hustete wieder und spuckte Wasser und eine Menge andere Sachen aus, dann
öffnete ich die Augen und erblickte die zwei Männer, die über mir standen. Ich
sah von einem zum anderen, und mein erster Gedanke war, dass Gott nie zwei
unterschiedlichere Menschen geschaffen hatte.
    Der eine war ein hübscher Riese mit
blonden Locken, die seinen Kopf wie ein Heiligenschein umstanden, er hatte
einen dichten grauen Bart und immer ein Lächeln im Gesicht. Der andere war
kleiner und blass. Er biss sich auf die Lippen. Er rang seine verschmierten
Hände. Beide trugen schwarze Kutten, die von Ledergürteln zusammengehalten
wurden. Die Kutte des Riesen war tropfnass, denn er hatte mich aus dem Fluss
geholt und dann auf meine Brust geschlagen, um mich wiederzubeleben.
    »Moses, der im Nil schwimmt«, sagte
der Riese, und sein Lächeln war so warm wie die Sonne. Er streckte mir seine
große Hand hin. »Sei unser König.«
    Ich zuckte vor der Hand zurück, denn
ich fürchtete jede Berührung außer der meiner Mutter. Aber ohnehin schob der
kleinere Mann die große Hand schnell weg. »Ich habe doch gesagt, du sollst ihn
nicht anfassen«, murmelte er.
    »Es ist doch nur ein Junge«, sagte der
Riese, beugte sich zu mir und umfasste mit beiden Händen meine Rippen, wobei
seine Daumen auf mein Herz drückten. Seine Hände waren warm und weich, und
trotzdem spannte sich jeder Muskel in meinem Körper. Er hielt mich in die Höhe
wie ein Ziegenhirte, der ein Zicklein betrachtet. Ich war vollkommen nackt,
meine zerfetzten Kleider hatte der Fluss mitgenommen. »Wie heißt du?«
    Ich war um eine Antwort verlegen – sie
hatten mich immer nur »dieses Frobenkind« oder »der Schwachsinnige« genannt.
Wie erstarrt hoffte ich, dass er mich absetzen würde, damit ich weglaufen und
meine Mutter finden konnte.
    Der Riese zuckte die Achseln. »Na gut,
Moses ist ein guter Name für kleine Jungen, die in Flüssen herumschwimmen. Ich
heiße Nicolai. Der Wolf da ist Remus. Wir sind Mönche.«
    Ich sah von einem Mann zum anderen und
versuchte, die Bedeutung des Wortes zu ergründen. Mönche? Ihre einzige Gemeinsamkeit waren die Kutten.
    »Hör zu«, sagte dieser Remus
ungeduldig und verzog dabei das Gesicht, als würde etwas schlecht riechen. »Er
lebt. Er soll sich auf den Weg machen.«
    »Nein!«, rief der Riese. »Bist du so
herzlos?« Er setzte mich in seine Armbeuge und presste meine Wange an die nasse
Wolle seiner Kutte, deren Kratzen ich vom Ohr bis zur Hüfte spürte. Sein Herz
klopfte mir ins Ohr.
    »Du hast deine Pflicht getan. Du hast
ihm das Leben gerettet.«
    Schockiert wich Nicolai zurück.
»Remus, jemand hat ihn in den Fluss geworfen.«
    »Das weißt du nicht. Vielleicht ist er
gefallen.«
    »Bist du ins Wasser gefallen?«, fragte
mich der

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