Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
einer Kutsche um, in der wir uns
verstecken konnten. Ich ließ mich von ihr wegziehen, warf aber noch einen
letzten Blick über die Schulter auf das Theater.
Von innen hörte ich ein Geräusch wie
das Rauschen eines Flusses.
Sie applaudierten. Die Kaiserin und
der Kaiser, die Herzöge, die Prinzen und all die Menschen auf den Rängen
bejubelten meine Stimme. Mit seinen Verbeugungen nahm Gaetano Guadagni meinen
Applaus entgegen. Ein Lächeln trat in mein Gesicht, als ich Amalia blind
hinterherstolperte. Eine dröhnende Stimme rief: Evviva
il coltello! Il benedetto coltello! Es
lebe das Messer! Und der Lärm schwoll an, wobei sich jetzt Jubelrufe unter den
Donner mischten.
Amalia hörte es auch. Wir blieben
stehen.
Allein mit ihr auf dem leeren Platz
machte ich die erste Verbeugung meiner Karriere, während sie lachte und für
mich klatschte. Im Inneren des Theaters hörte der Applaus nicht auf, und
deshalb verbeugte ich mich wieder und wieder, Kopf nach oben und Kopf nach
unten wie eine Marionette. Dann ergriff sie aufs Neue meine Hand. Komm! Und wir eilten davon.
Wir stiegen in eine Kutsche und
fuhren schnell zum Palais Riecher. Als Orpheus und Eurydike in den Liebestempel
auf der Bühne traten und Anton seine Loge verließ, um seine Frau zu suchen (die
ihm zugeflüstert hatte, sie fühle sich nicht wohl und wolle ein paar Schritte
auf dem Gang machen), sagte Amalia zu mir: »Verbirg dein Gesicht.« Wir fuhren
an dem Zerberus vorbei in den Hof.
»Aber warum hier?«, flehte ich.
»Bitte, nicht gerade hier.«
»Du wirst schon sehen«, sagte sie.
Sie stieg aus der Kutsche und ging ins
Haus, als wäre alles in bester Ordnung. Ein Portier öffnete die Tür für sie und
sah hinaus. Ich zog den Vorhang zu, um mich zu verstecken. Zu spät? Hatte er
mein Gesicht gesehen?
Ich hörte ein Geräusch und spähte aus
dem anderen Fenster, nur um den Zerberus zu erblicken, der unsere Kutsche
betrachtete. Mein Gott, dachte ich. Wenn er mein Gesicht sieht, ist
alles vorbei. Gräfin Riecher wird uns aufspüren.
»Ist jemand da drinnen?«, fragte der
Zerberus den Kutscher. »Ja«, murmelte dieser. »Ein Herr.«
»Ein Herr? Seid Ihr sicher?«
»Ob ich sicher bin? Ich weiß doch, wer
in meiner Kutsche sitzt.«
»Wer ist es?«
»Hab ich nicht gesehen. War zu
dunkel.«
Der Zerberus näherte sich der Tür.
Betrachtete sie. Atmete fünfmal aus wie ein Bulle, der angreifen will. Dann
klopfte er zweimal, als hätte er einen Hammer in der Hand.
»Wer ist da?«, wollte er wissen.
Ich verschloss die Tür so leise ich
konnte.
»Öffnet die Tür!« Die Tür wölbte sich
nach außen, als er daran zog.
»Aufgepasst! Das ist meine Tür!«,
sagte der Kutscher.
»Ich schlage das Fenster ein, wenn sie
nicht augenblicklich geöffnet wird.«
Ich kauerte in der Ecke. Die Tür
wölbte sich noch einmal nach außen, die Angeln ächzten.
»Was macht Ihr da?«, rief Amalia aus
der Entfernung.
»Madame«, sagte der Zerberus streng,
»ich möchte erfahren, wer in dieser Kutsche sitzt. Wo ist Herr Anton Riecher?«
Ich hörte ihre Schritte, die langsam
über den Hof kamen. Als ich zwischen den Vorhängen hinausspähte, stand sie so
nahe bei ihm, dass ihr runder Bauch seine Oberschenkel streifte. Sie hatte sich
einen schweren Umhang um die Schultern gelegt.
»Respektloses Ungeheuer!« Sie
versetzte ihm einen Stoß in die Brust, und er wich zwei Schritte zurück. »In
dieser Kutsche sitzt ein freundlicher alter Mann, der im Krieg entstellt wurde
– natürlich will er einem solchen Rüpel sein Gesicht nicht zeigen. Und wo Anton
ist? Das ist kein Geheimnis. Er wartet bei Graf Nádasdy auf uns – und wird von
Minute zu Minute zorniger, dass man mich aufhält.«
Ich entriegelte die Tür im selben
Moment, als sie danach griff. Wir saßen bewegungslos da, bis unser Kutscher das
Tor hinter sich gelassen hatte. Dann atmeten wir beide aus.
»Hoffentlich verbrennt sie jedes
Kleid, das sie mir gekauft hat«, sagte Amalia. »Und verflucht meinen Namen.«
Sie legte mir eine kunstvolle kleine
Schatulle in den Schoß, die eine Bibel hätte enthalten können. Ich öffnete sie.
Zehn Säulen, jede mit zwanzig
Goldmünzen à zehn Gulden, zweitausend Gulden alles in allem. Ich starrte sie
mit offenem Mund an. Ich hatte noch nie auch nur einen einzigen Gulden in der
Hand gehalten.
»An meinem letzten Tag in Sankt
Gallen«, erzählte sie, »kam Vater in mein Zimmer. Ich hatte geglaubt, er wäre
überglücklich wegen meiner Heirat, aber er lief nervös hin und
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