Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
als ob
ihm jeder Gegenstand Geheimnisse über die Männer enthüllte, die diese Räume
bewohnten. Schließlich wandte er sich an mich.
»Du hast dich gut versteckt. Aber zum
Glück für mich umgibst du dich mit ziemlich« – er umfasste den Raum mit einer
Geste – » auffallenden Personen, die heute sehr geschäftig waren.« Er lächelte Tasso an. »Wer war
diese Frau, die Er hergebracht hat, wenn ich fragen darf?« Der kleine Mann
verschränkte die Arme und sah zu Boden.
Aus Amalias Zimmer kam ein lautes
Stöhnen und als Antwort die feste, tiefe Stimme der Hebamme.
Nur Guadagni drehte sich um und sah
auf die Tür. »Moses wird Euch ein anderes Mal aufsuchen«, sagte Remus. »Oder
Ihr kommt zu Besuch. Nur heute passt es leider nicht.«
»Nein, nein«, sagte Guadagni
geistesabwesend, weil er immer noch auf die Schlafzimmertür starrte. »Ein
weiterer Besuch ist nicht notwendig. Ich bleibe nicht lange. Ich möchte meinem
Schüler nur Adieu sagen. Dann gehe ich.«
»Adieu«, sagte ich.
Guadagni lächelte mich an und
schüttelte den Kopf über meine Naivität. Er machte ein paar Schritte, bis er in
unserer Mitte stand, Nicolai zu seiner Linken, Remus und Tasso zur Rechten, ich
saß direkt vor ihm. »Natürlich wollte ich nicht Abschied nehmen, ohne darüber
zu sprechen, was zwischen uns vorgefallen ist. Gewiss hat unser Faktotum dir
erzählt, dass die Arie, die du mir gestohlen hast, eine recht große Wirkung
erzielt hat.«
»Moses ist ein weitaus besserer Sänger
als Ihr«, sagte Nicolai plötzlich. Auf Guadagni schien dieser Angriff keine
Wirkung zu haben, aber er musterte Nicolai so genau, als würde er sein
entstelltes Gesicht erst jetzt bemerken. Er zog die Augenbrauen hoch.
»Moses«, sagte er und schien meinen
Namen zu wiegen, als er ihm das erste Mal über die Lippen kam, »bevor ich mich
verabschiede, bevor ich einem solchen Mann« – er wies mit der Handfläche auf
Nicolai – »erlaube, deinen Ehrgeiz zu entfachen, möchte ich dir einen Rat
geben. Ich habe Opern gesungen, seit ich zehn Jahre alt war. Ich habe in
abgelegenen italienischen Dörfern auf heruntergekommenen Bühnen gesungen. Ich
habe in Covent Garden gesungen. Du bist nicht der erste Schüler, der sich
meiner Obhut entzogen hat, weil er glaubte, er wäre größer als sein Lehrer. Und
was ist aus ihnen geworden? Ich weiß es nicht. Von keinem einzigen habe ich
jemals wieder etwas gehört.« Er zuckte die Achseln und blickte noch einmal auf
Amalias Tür. »Ich vermute, dass sie irgendwo singen. Auf dem Land im
Kirchenchor oder als Buffo bei reisenden Opernkompanien. Ich weiß, wie sie leben,
denn ich habe selbst einmal so gelebt. Sie singen auf winzigen Bühnen im
Freien, und die Leute bejubeln ihre Stimmen. Sie bringen Männer zum Weinen.
Dann ist das Konzert zu Ende. Das Publikum geht nach Hause, und auf der Straße
halten sich immer ein paar der Männer, die bei ihrem Gesang gelacht und geweint
haben, die Hände über ihre Geschlechtsteile« – er warf einen gezielten Blick
auf meine Lenden, dann sah er mir wieder ins Gesicht – »und singen wie kleine
Mädchen.«
Nicolai schüttelte in seinem Sessel
trotzig den Kopf, aber Guadagni hatte nur Augen für mich.
Ich sah auf die Füße des Sängers.
»Moses«, fuhr er fort, »glaubst du,
diese armen Sänger haben kein Talent? Versauern sie deshalb in namenlosen
Dörfern? Moses«, rief er leise meinen Namen, und ich sah auf. Er schüttelte traurig den
Kopf. »Oh ja, sie haben Talent! Sie haben große Stimmen – so wie deine und
meine. Sie würden die Kaiserin zum Weinen bringen, wie du es getan hast, wenn
sie sie nur dazu bringen könnten, an sie zu glauben. « Sein Ausdruck wurde düster. »Du darfst nicht glauben,
dass es Zufall ist, dass sie in irgendwelchen Wagen schlafen und ich in einem
der schönsten Häuser Wiens. Es ist kein Zufall.«
Amalia begann wieder zu stöhnen,
Guadagni verstummte und funkelte böse die Tür an, als wäre ihr Leiden ein
störendes Husten in seinem Theater. »Es ist alles andere als ein Zufall«, fuhr
er jetzt viel leidenschaftlicher fort. »Der Gesang ist nur das Eingangstor zu
unserem Beruf. Moses, ich habe dir all das erklärt, aber du hast nicht
zugehört. Du hättest nicht etwas so Dummes getan, wenn du verstanden hättest …« Guadagni machte
eine Pause, um die wachsende Wut in seiner Stimme unter Kontrolle zu bringen,
aber meine Ohren verrieten mir mehr: Er hatte vor etwas in diesem Raum Angst.
Mit einer zitternden Hand klopfte er auf die Tasche
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