Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
welch unglückliche Kreatur einen solchen
Lärm macht.« Sie umrundete Nicolai und ging auf Amalias Tür zu.
Remus stellte sich ihr in den Weg. Er
war nicht größer als sie, und in diesem Augenblick wirkte er doppelt so
schwach. »Nein«, sagte er. Er hielt die Hände in die Höhe.
»Zur Seite«, befahl sie.
»Ihr braucht nicht hineinzugehen. Ihr
wisst, dass es die Person ist, die Ihr sucht, aber im Augenblick darf sie nicht
noch weiter beunruhigt werden.«
Sie musterte sein Gesicht, drängte
sich aber nicht an ihm vorbei. Er bot ihr einen Stuhl an. Sie winkte ab. »Ich
bleibe stehen, bis es geboren ist. Dann kann ich endlich diesen verdreckten Ort
verlassen.«
»Wir werden nicht erlauben, dass Ihr
es mitnehmt«, knurrte Nicolai mit seiner tiefen Stimme. Er presste die Hände
immer noch gegen die Schläfen und hatte die Augen geschlossen.
Gräfin Riecher drehte sich um und
musterte Nicolai in seinem Sessel. »Ihr werdet es nicht erlauben? «
Nicolai sagte nichts, aber ich hatte
Angst, dass er mit den zitternden Händen seinen eigenen Schädel zerdrücken
würde.
Gräfin Riecher runzelte die Stirn und
sah sich im Raum um. Sie schüttelte den Kopf und schnaubte. »Ich kann euch
augenblicklich verhaften lassen. Alle vier.« Sie lachte kalt. »Ich brauche
nicht einmal eure Namen. Ich kann euch wegen ihrer Entführung hängen lassen,
noch ehe morgen die Sonne aufgeht.« Sie starrte Tasso an, und obwohl er ihren
Blick erwiderte, zitterte er. »Seid ihr solche Narren? Hattet ihr wirklich die
Absicht, das Kind zu stehlen und hier aufzuziehen, in diesem Loch? Warum? Weil«
– sie zeigte auf die Schlafzimmertür und spuckte ihre Worte aus – »dieses unverschämte Mädchen es so
wollte?«
Guadagni musste ihr gesagt haben, dass
ich die Quelle des Ärgers war, denn jetzt funkelte sie mich an. Ich wünschte,
ich hätte ein Messer gehabt. Ich hätte sie auf der Stelle getötet.
Sie fuhr fort: »Sie hat nicht das Recht
zu entscheiden, was mit diesem Kind geschieht. Es wird ein Riecher sein.« Sie musterte
mich von oben bis unten und schüttelte den Kopf.
Sie befahl den Soldaten, die Tür zu
Amalias Zimmer zu bewachen. »Setz dich«, sagte sie zu Remus.
Er kam dem Befehl nach.
Der Reihe nach sah sie uns böse an,
betrachtete Tassos verkümmerte Gliedmaßen, Nicolais entstelltes Gesicht, den
hässlichen Remus. Dann mich. »Ein Kastrat«, zischte sie. »Dafür hat sie unser
Haus verlassen? Meinen Sohn?« Sie lächelte grausam. »Ich hoffe nur, du hast
eine wunderhübsche Stimme. In zwanzig Jahren, wenn sie unglücklich und einsam
ist, wird die schwache Erinnerung daran sie hoffentlich trösten können.«
Ich antwortete nicht. Ich spürte ihren
Blick wie einen kalten Finger, der mir über das Gesicht fuhr und jedes Zeichen
meiner Unzulänglichkeit aufspürte.
»Ihr habt die Wahl«, fuhr sie fort.
Sie drehte sich um und machte eine geringschätzige Handbewegung. »Wir warten,
bis das Kind geboren ist. Ich werde es an mich nehmen. Meine Kinderschwester wird
für es sorgen, wie es sich gehört, standesgemäß. Für die Mutter werde ich eine
Kutsche schicken. Ich werde sie an einen Ort meiner Wahl bringen lassen. Es
wird für sie gesorgt werden, aber in so weiter Ferne, dass sie mit ihrem
schändlichen Benehmen nicht die Zukunft meines Enkelkindes gefährden kann. Und
ihr, alle vier, ihr werdet die Stadt verlassen. Ich möchte nicht, dass ganz
Wien erfährt, wo mein Erbe geboren wurde. In …« Sie sah sich im Raum um, als
suche sie nach dem hässlichsten aller Worte, aber schließlich seufzte sie und
sagte: »Spittelberg.« Sie fuhr fort: »Wenn ihr die Hand hebt, um mich
aufzuhalten, oder wenn ich in dieser Stadt je wieder von euch höre, habe ich
keine andere Wahl. Ihr werdet sterben.«
Wir sprachen nicht, aber als die
Schreie aus Amalias Zimmer von Neuem einsetzten, schrien auch unsere Herzen.
Ich sah meine Freunde an. Nicolai nickte mir zu, um zu bekräftigen, was ich
bereits wusste: Er würde eher sterben, als dieser Frau nachzugeben. Auch Tasso,
der immer noch in der Ecke stand, sah aus, als sei er bereit, sie zu beißen und
zu kratzen. Selbst Remus’ Nacken war rot angelaufen.
Meine Hände hingen herab und
zitterten. Ich betete darum, dass meine Knie mich halten würden. »Ihr könnt das
Kind nicht seiner Mutter wegnehmen«, sagte ich. Es war nur ein Flüstern. »Wir
lassen das nicht zu.«
Sie sah mich an, als hielte sie mich
für so schwach, dass ihr bloßer Blick mich umstoßen könnte. »Bei
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