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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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wurden zu zwei schwarzen
Ovalen, die von Lederstreifen umgeben waren, damit kein Licht eindrang. Nicolai
gurrte, obwohl er in dem trüben Licht des Wohnzimmers gewiss überhaupt nichts
sehen konnte. Er stand auf. Amalia zog die Vorhänge zurück. Das Licht des
späten Nachmittags strömte herein, und zum ersten Mal seit mehreren Jahren
schreckte Nicolai nicht davor zurück.
    Er gab kleine Freudenlaute von sich
und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, als erlaubten die Linsen
ihm, Geister durch die Luft fliegen zu sehen, die für uns nicht sichtbar waren.
Er trat ans Fenster und stand dort als riesige Silhouette mit ausgestreckten
Händen, um die Sonne zu umarmen. »Ein Wunder!«, sagte er.
    Ein Wunder war es nicht, lediglich ein
weiteres Geschenk der Wissenschaft, und es war auch keine perfekte Lösung. Wenn
er die Brille trug, konnte er am helllichten Mittag nur so gut sehen wie andere
um Mitternacht. »Nein, nein«, erwiderte er auf Remus’ Vorwurf, dass er uns
täusche. »Ich sehe so gut wie früher. Wie eine Fledermaus.«
    Amalia zuckte die Achseln und
flüsterte mir zu: »Es ist bloß Rauchglas. Aber das muss man ihm doch nicht
erzählen.«
    Nicolai tollte in der Wohnung umher,
als könne er Remus’ Bücherstapel sehen, jeden Tisch, jeden Becher mit Kaffee
oder Wein, und wenn er Letztere umstieß, was oft geschah, rief er aus: »Ach,
wie ungeschickt! Ich muss in Zukunft besser auf meine dicken Füße aufpassen.«
Er ließ sich von Remus begleiten, wenn er durch das Stadtviertel spazierte.
»Niemand hat Angst vor hässlichen Ungeheuern«, sagte er, »wenn sie von
vornehmen Ärzten begleitet werden.«
    Wenn sich ihr Kind bewegte, legte
Amalia meine Hand auf ihren Körper, sodass ich es auch fühlen konnte. Wenn sich
das Baby lange Zeit nicht meldete und ich sah, wie sie es sanft stupste, weil
sie hoffte, ein Lebenszeichen zu erhalten, zog ich ihre Hand weg und legte mein
Ohr an ihren Bauch. Ich hörte das winzige Herz, das zweimal so schnell schlug
wie das seiner Mutter. Eines Tages, als ich ihr ein Echo davon vorsang – poch-poch-poch-poch-poch-poch  –, nahm sie meinen Kopf in beide Hände und zog mich zu sich, bis sich
unsere Nasen berührten. »Moses«, sagte sie. »Er wird dich Vater nennen.«
    Ich errötete und wandte mich ab, aber
insgeheim faszinierte mich der Gedanke. Vater, wiederholte ich, als ich allein war. Vater .
    Von diesem Tag an sang ich nicht nur
für Amalia, sondern auch für unser Kind in ihrem Leib. Im Stillen hoffte ich,
dass meine Stimme an seine winzigen Ohren dringen würde, wie der Klang der
Glocken meiner Mutter zu mir gedrungen war. Konnte ich ein solcher Vater für
dieses Kind sein, wie es die Glocken für mich gewesen waren?
    Eines Nachts, als ich mich vor dem
Schlafengehen auszog, stand ich in unserem beengten Zimmer vor Amalia. Sie
betrachtete mich im Kerzenschein: meine langen Arme, meine gerundete Brust. In
der kalten Luft bekam die Haut meines haarlosen Bauches winzige Grübchen wie
eine Eierschale. Einen Moment lang fiel ihr Blick auf die Bandage, die ich
immer noch trug, und kehrte dann schnell zu meinem Gesicht zurück. Aber ich
hatte den verstohlenen Blick bemerkt, und als sich unsere Augen trafen,
errötete sie.
    Ich wickelte die Bandage ab. Die kalte
Luft ließ die feuchte Haut frösteln, die sich darunter verborgen hatte. Vor
Scham konnte ich mich nicht dazu überwinden, nach unten zu sehen, das wäre zu
viel gewesen. Aber Amalia wandte ihren Blick nicht ab. Sie streckte mir die
Hand entgegen, und unglaublich erleichtert kletterte ich nackt unter ihre
Decken. Sie schmiegte sich in meine Arme.
    »Amalia«, platzte es nach mehreren
Minuten aus mir heraus.
    »Was ist denn, Moses?« Ihre Verwirrung
sagte mir, dass sie geschlafen hatte.
    »Ich werde nicht erlauben, dass ihm
das angetan wird.«
    »Wovon sprichst du?«
    »Wenn es ein Junge ist – unser Sohn.
Ich werde nicht erlauben, dass ihm dasselbe angetan wird wie mir.«
    »Ach, Moses. Sei nicht albern.
Natürlich wird das nicht passieren.«
    Bald hörte ich ihre tiefen Atemzüge
und wusste, dass sie wieder eingeschlafen war, ich aber lag noch viele Minuten
lang wach.
    Ich würde ihn beschützen – oder sie,
Sohn oder Tochter, das war einerlei –, ich würde dieses Kind vor dem Bösen
beschützen, das mir angetan worden war, und vor allen anderen Übeln, die in der
Welt lauerten. Aber ich würde es niemals mehr erwähnen, nicht einmal Amalia
gegenüber. Es war mein persönlicher geheimer Pakt: Wenn es mir

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