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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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Stimme bei dem Läuten nicht hören konnte, beruhigte mein Singen
seinen unruhigen Körper. Diese Vision war so real, dass ich meine Arme unter
der Decke zusammenlegte. Ich fühlte die Wärme seines Körpers. Ich spürte, wie
sich seine Lungen mit Luft füllten.
    Und dann sah ich hinunter und stellte
fest, dass meine Arme leer waren. Das Bedauern überkam mich so heftig, dass ich
aufstand und aus dem Fenster in den schwarzen, läutenden Morgen sah.
    Ich erkannte, welches Glück ich
verloren hatte, und in diesem Augenblick erkannte ich auch, wie ich einen Teil
davon wiedererlangen könnte.

XXIII.
    Der Komponist Chevalier
Christoph Willibald Gluck schlief, als sich das Gespenst in sein Schlafzimmer
schlich. Es glitt an sein Bett und hustete. Der Maestro wachte nicht auf. »Sei
gegrüßt«, sagte das Gespenst. »Wach auf!« Immer noch rührte Gluck sich nicht,
und deshalb rüttelte das Gespenst an seinem Arm.
    Gluck riss die Augen auf. Er fuhr
erschreckt hoch. »Wer ist da?«, fragte er.
    »Zünde eine Kerze an.«
    Gluck beugte sich zu seinem Nachttisch
und tat wie geheißen. Als das Gesicht des Gespensts erleuchtet wurde, zog er
die Luft ein.
    »Orpheus!«, sagte er.
    Orpheus nickte ernst.
    »Wirst du noch einmal singen?«, fragte
er. »Wirst du noch einmal für mich singen?«
    Orpheus schien einen Augenblick
überlegen zu müssen. »Das kann ich nicht sagen«, antwortete er. »Die
Entscheidung liegt nicht bei mir.«
    »Wer entscheidet denn?« Gluck warf
seine Decke zurück und stieg aus dem Bett. »Wer entscheidet es?« Das Gespenst
wich zurück, als Gluck näher kam.
    »Die … die Musik«, sagte das Gespenst.
»Die Musik entscheidet es.«
    Gluck nickte. »Ja«, sagte er. »Ja,
natürlich.«
    Mit beiden Händen ergriff der
Komponist Orpheus’ Hand. Einen Augenblick lang presste er sie flehentlich an
seine Stirn. »Orpheus«, flüsterte Gluck, »warum bist du heute Nacht zu mir
gekommen?«
    »Die Musik hat dir ihre Gunst
geschenkt«, sagte das Gespenst, als hätte es die Botschaft auswendig gelernt.
»Jetzt musst du etwas für sie tun.« Und als Orpheus Gluck erklärte, was er tun
müsse, weckte das Läuten einer Glocke den Komponisten aus seinem Traum.
    Ich brauchte mehrere Tage, um
alles vorzubereiten. Ich erklärte meinen Freunden die Rolle, die sie spielen
sollten, und die damit verbundenen Gefahren. »Soll uns die Kaiserin doch den
Kopf abschneiden«, sagte Nicolai. Bei diesen Worten wurde Tasso ganz weiß, und
der Riese klopfte dem kleinen Mann auf den Rücken, sodass er mehrere Schritte
über den Boden stolperte. Wir sprachen mit Herrn Kost und teilten ihm mit, dass
er die Wohnung bald wieder vermieten könne. Remus hatte Nicolais zerbrochene
Augengläser ersetzen lassen. Ich kaufte ein kurzes Messer, von dem der Schmied
sagte, es sei das schärfste, das in Wien zu finden sei, und befestigte es an
meinem Gürtel. Ich besorgte außerdem ein großes Stück sehr weiches Bienenwachs,
etwas Füllmaterial aus Wolle und drei Fuß Musselin, den ich in Streifen
schnitt.
    Tasso brachte mir den kleinen
Eisenofen, den er in kalten Nächten unter der Bühne benutzte. Er packte all
seinen Besitz in ein Bündel, dann kehrte er ein letztes Mal in das Theater
zurück, wo Guadagni an diesem Abend noch einmal den Orfeo sang.
    Spät in der Nacht hörten wir, wie
Tasso die Treppe heraufrannte. Mit einem verschmitzten Lächeln kam er ins
Wohnzimmer. »Jetzt kann ich nie mehr zurück!« Er knallte die Tür hinter sich
zu. Als ich ihn fragte, was er meinte, flitzte er zuerst zum Kamin – zur Bühne,
auf der ich vor einigen Monaten mein Konzert gegeben hatte. Mit großem
akrobatischen Geschick kroch er hin und her. Er spähte zur Zimmerdecke hinauf.
»Ich habe seine Füße durch die Ritzen beobachtet«, erzählte er in
verschwörerischem Tonfall, »aber ich habe auch zugehört. Ich habe gewartet, bis
er hoch und laut sang, und dann« –Tasso zog an einem unsichtbaren Seil – »dann
habe ich gezogen. Sein Lied wurde zu einem Schrei. Er ist runtergefallen!«
    »Aber dann«, Tasso erblasste und wurde
ernst, »wäre ich fast gestorben.« Er nickt dreimal – einmal für jeden von uns.
»Guadagni hatte das nämlich erwartet, wisst ihr. Er hat wahrscheinlich jede
Nacht davon geträumt. Sein Schrei war in Wirklichkeit ein Schlachtruf! Er
landete wie eine Katze. Er zog ein Messer aus seinem Hemd, und noch bevor er
mich im Dunkeln überhaupt sah, stach er damit in die Luft.« Tasso stach nach
links, nach rechts und brachte spielend ein

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